Grand Tour durch Europa, oder die Reise zum wirklichen Ich

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
miro76 Avatar

Von

Douglas und Connie könnten verschiedener nicht sein. Er ist durch und durch Wissenschaftler und kann das auch in seiner Freizeit nicht ablegen. Er ist penibel genau, äußerst ordnungsliebend und auch ordentlich rechthaberisch. Sie ist eine chaotische Künstlerin, die alles auf Erden ausprobiert hat und ziemlich freigeistig und freiheitsliebend ist.
Und dennoch, oder gerade deswegen verliebt sich Douglas in sie und es gelingt ihm, sie zu erobern.
"Ich wollte mögen, was Connie mochte, weil ich wollte, dass Connie mich mochte. Also waren solche Dinge jetzt nicht mehr „gaga“, sondern „Avantgarde“." S. 170
Douglas bemüht sich seinen Horizont zu erweitern, sich aufgeschlossener zu geben, aber schließlich schafft er es doch nicht seinen Wurzeln zu entfliehen. Besonders wenn es um ihren Sohn Albie geht, entzweien sich Douglas und Connie immer mehr. Connie will ihm seinen Freiraum lassen, um sich selbständig zu entwickeln und Douglas will ihn formen. Er scheint irgendwie determiniert in seiner eigenen Erziehung und alle Sätze , die er von seinen Eltern zu hören bekam und die ihm nie über die Lippen kommen sollten, werden zu seinen Erziehungsmaßnahmen. Und so kommt es, dass sich Albie und folglich auch Connie immer mehr von ihm distanzieren. Wie in einem Teufelskreis wird alles schlimmer, je mehr sich Albies Künstlernatur zeigt.
Und plötzlich eröffnet ihm Connie mitten in der Nacht, dass sie ihn wahrscheinlich verlassen wird nach Albies Auszug.
Douglas und Connie hatten eine große Reise durch Europa geplant, um Albie vor dem College die großen Meister zu zeigen. Die Reise soll über Paris, Amsterdam und München nach Italien führen. Also beschließt Douglas, auf dieser Reise alles zu tun, um Connie zurückzuerobern. Das beinhaltet natürlich, Spontaneität, Elan und keine Auseinandersetzungen mit Albie.
„Doch das Problem dabei, im Moment zu leben, ist, dass er verstreicht. Spontaneität und Impulsivität nehmen keine Rücksicht auf Verantwortlichkeiten und Pflichten, Schulden, die bezahlt und Versprechen, die erfüllt werden müssen.“ S. 378
Deshalb schafft es Douglas auch auf Reisen nicht aus seiner Haut und die Streitereien mit Albie lassen sich nicht vermeiden. Als so ein Streit eskaliert, haut Albie ab, Connie will ohne ihn nicht weiterreisen und fliegt nach Hause und Douglas?
-Douglas bricht alleine auf, um Albie zu finden und sich bei ihm zu entschuldigen und um Connie zu beeindrucken und sich ihre ewige Dankbarkeit zu sichern.
Das gelingt ihm nicht ohne Schwierigkeiten und Douglas kann Seiten an sich entdecken, die ihm vorher nicht bewusst waren. Er macht eine spannende Entwicklung durch, die ihn erst bereit macht, seinem Sohn gegenüberzutreten.
"Wie seltsam, dass ich durch halb Europa gestolpert , gestrauchelt und getorkelt war und erst jetzt das Meer erreichte." S. 496
In Barcelona verbringen Albie und Douglas, endlich ausgesöhnt einen halbwegs entspannten Tag am Strand. Dieses Happy End sei verraten, aber ist es ihm auch gelungen seine Ehe zu retten?
Das möchte ich an dieser Stelle noch offen lassen.
David Nicholls führt uns mit seinem Roman quer durch Europa, um uns in Rückblenden die Lebens- und Liebesgeschichte von Douglas und Connie zu erzählen. Es könnte aber genauso Albies Coming-of-Age Roman sein. Denn auch er macht eine aufregende und einschneidende Entwicklung durch.
Mir hat dieser Road Trip durch Europa sehr gut gefallen. Vor allem die Reisedetails dieser wunderbaren Städte (Paris, Amsterdam, Venedig, Florenz, Siena, Madrid und Barcelona) haben es mir angetan. Da ich alle Städte bis auf eine bereits kenne, kann ich sie gut in den Beschreibungen wiederfinden und erinnere mich dabei gerne an meine eigenen Reisen. Die Beschreibungen mancher Kunstwerke fand ich auch sehr spannend. Sie eröffnen teilweise einen anderen Blick auf diese Bilder.
Aber die interessantesten Reisen sind Douglas und Albies persönliche Entwicklungen. Reisen kann einem eben wirklich neue Horizonte eröffnen.