Roadstory über das Bewahren der Liebe

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marionhh Avatar

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Douglas Petersen fällt aus allen Wolken: Seine Frau Connie eröffnet ihm eines Nachts, dass sie ihn womöglich verlassen will, sobald Sohn Albie zwecks Ausbildung ausgezogen ist. Douglas wähnte sich in einer glücklichen Ehe, und dies wirft ihn völlig aus der Bahn. Die geplante „Grand Tour“, eine Art Bildungsreise der gesamten Familie durch Europa, soll aber Albie zuliebe trotzdem stattfinden, und Douglas beschließt diese Reise zu nutzen, um seine Ehe zu retten und das kühle Verhältnis zu seinem Sohn wieder auf Vordermann zu bringen. Die Reise wird zu einer Odyssee verletzter Gefühle und Vorwürfen, aber auch der Selbstreflektion, und bald beschleicht Douglas die Erkenntnis, dass es noch etwas Anderes geben könnte als akribisch durchgeplante Reisepläne, minutiöses Abklappern der kunsthistorischen Stätten und ständige Ermahnungen an weniger gut organisierte Reisegenossen.

Köstlich!! Wunderbar humorvoll und mit einer guten Portion Ironie und Selbstkritik beschreibt Ich-Erzähler Douglas seine Reise durch Europa, die gleichzeitig eine Reise in sein Innerstes ist. In neun Teilen, die sich an den Aufenthaltsorten quer durch Europa orientieren, und in kurzen Kapiteln mit sehr treffenden Überschriften wird der Leser nicht nur stiller Zeuge der Reisestationen, der Städte, Cafés, Museen und Kunstobjekte, sondern auch der Reflektion Douglas‘ über sein Leben. In Rückblenden erzählt er, wie alles begann und fragt sich immer wieder, wie eine solche Frau wie Connie, Künstlerin und Freigeist, sich ausgerechnet in ihn, den Wissenschafts-Nerd, verlieben konnte. Nach und nach kommen aber auch die Probleme ans Licht, die eine Beziehung zweier so unterschiedlicher Charaktere aus so unterschiedlichen sozialen Hintergründen mit sich bringen, und die Schicksalsschläge, die auch nicht unbedingt zur Stärkung der Beziehung beigetragen haben.

Ich muss gestehen, dass mir Connie zu großen Teilen mit ihrer Emotionalität und ihrem chaotischen Wesen eher fremd blieb, Douglas hingegen fand ich intelligent und fähig zur inneren Einsicht. In dem Maße wie er analytisch und sachlich, ordentlich, organisiert und loyal ist, ist sie irrational, chaotisch und flatterhaft. Sicherlich hat er Fehler gemacht, was seine Aussagen gegenüber Albie betrifft, und seine Pedanterie und sein Ehrgeiz trafen sicherlich nicht den Nerv des hypersensiblen Albie, der im Übrigen meines Erachtens gute Aussichten hat, als Clochard in der Gosse von Paris zu enden. Nichtsdestotrotz spricht aus jeder von Douglas‘ Handlungen und Gedanken seine große Liebe zu seiner Familie und sein Wunsch, Connie und besonders Albie zu beeindrucken. Er möchte, dass beide stolz auf ihn sind und macht sich Sorgen um ihr Wohlergehen. Dies erkennen beide meines Erachtens nicht wirklich an, sie formen eine Front gegen ihn und fehlinterpretieren sein Verhalten als Kontrollzwang und Perfektionismus. Kommunikation scheint mir das Hauptproblem der Familie zu sein – keiner sagt, was er wirklich fühlt, und Missverständnisse sind vorprogrammiert. Dies wird erst zum Schluss besser, nach einer Reihe von Verwicklungen und teilweise sehr überraschenden Wendungen.

Der Autor schafft es meisterhaft, die Stimmung der Protagonisten und die Atmosphäre einzufangen und dem Leser nahe zu bringen und dadurch nicht zuletzt eine wirklich fesselnde Geschichte zu erzählen, die mit viel Situationskomik gewürzt ist. Einzig die mitunter recht langen Beschreibungen einzelner Bilder oder Kunstwerke fand ich etwas übertrieben. Natürlich ist der Roman auf die Figur des Douglas, aus dessen Sicht alles erzählt wird, ausgerichtet, was ein wenig einseitig daher kommen könnte. Die Nebenfiguren wie zum Beispiel Kat oder Freja haben nur kurze Auftritte, diese sind aber bedeutsam und zukunftsweisend. Dadurch dass das Geschehen komplett Douglas Erlebnissen entspricht, er also nicht allwissend ist, sondern nur das beschreiben kann, was er selbst erlebt, fühlt und denkt, wird die Gesichte sehr emotional und der Leser kommt nicht umhin, mit Douglas intensiv mit zu fühlen. Man baut eine große Nähe zu ihm auf, hat aber dadurch eben auch nur seine Sichtweise. Dadurch blieben mir auch Connie und Albie fremd und einiges an ihrem Verhalten ging mir auf die Nerven. Douglas hingegen war mir so sympathisch, dass ich ihm seine Verfehlungen verzieh und meistens auf seiner Seite war. Er wirkt auf mich wie ein exzellenter Beobachter, er möchte die Gefühle und Motive seiner Frau und seines Sohnes verstehen. Sicherlich möchte er auch selbst gerne gut dastehen, wird aber im Laufe des Buches, i.e. der Reise, immer kritischer mit sich selbst, und so kommt er am Ende zu recht überraschenden Erkenntnissen. Dies führt denn auch zu einem "Ende mit offenem Ausgang", das heißt ein einigermaßen offenes Ende mit Aussicht auf eine verheißungsvolle Zukunft.

Fazit: Ein schönes Buch der leisen Töne und der stillen Action, aber dafür mit umso mehr tiefsinnigen Gedanken, komisch und tragisch zugleich. Eine wundervolle Familie, die verletzlich ist und zu großen Gefühlen fähig, die aber letztlich doch aufgrund ihrer unterschiedlichen Lebenseinstellung nicht zueinander kommt. Wer keine große Action braucht, sondern eine moderne Roadstory lesen möchte, dabei gerne auch mal schmunzeln will, ist hier genau richtig. Ein edles Buch, das durchweg schöne Stunden an unterhaltsamer Lektüre bietet.