Im R4 zurück in die Vergangenheit

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Trudi, Nele und Renate sind Kinder der 80-er Jahre. Seinerzeit trugen sie mit Vorliebe lila Latzhosen, dufteten nach Patschuli und folgten ihren emanzipierten Ideologien. 30 Jahre später sind sie immer noch beste Freundinnen, nur dass sich ihre Lebensumstände deutlich komfortabler gestalten. Da sie immer noch einer verpassten Italienreise nachtrauern, bekommen sie von ihren Kindern diesen Urlaub im Stil der vergangenen Zeit zum 150. Geburtstag geschenkt. Ohne Kreditkarte, Kosmetik, Handy oder Computer starten sie den rostroten R4 und brechen nach Italien auf. Der Weg führt sie über Frankreich und der Schweiz und birgt einige Aufregungen, die sie aber auch wieder emotional näher bringen.

Jede Zeit birgt ihre Erinnerungen. Die 50-jährigen unter uns werden sich ganz sicher an die ersten Reisen im eigenen Auto in den frühen 80-er Jahren des letzten Jahrhunderts erinnern. Die Atomkraft-nein-Danke-Bewegung gehörte ebenso dazu wie die praktische Jutetasche. In selbstgebatikten T-Shirts und überweiten Hosen hörte man Musik von Liedermachern und diskutierte gern und lange mit Gleichgesinnten über die großen und kleinen Probleme der Welt. Irgendwann warfen die meisten ihre damaligen Lebenseinstellungen über den Haufen und gingen einer geregelten Arbeit nach, gründeten eine Familie und kleideten sich gesellschaftlich unauffällig. Spricht man sie nach 30 Jahren auf die damalige Zeit an, schütteln sie nur noch lachend ihre Köpfe. Ebenso war es auch bei den drei Hauptfiguren dieses Romans als sie von ihren Kindern die Reise nach Italien geschenkt bekamen. Was früher selbstverständlich war, ist heute eine große Herausforderung. Nicht nur die Lebensumstände, sondern auch der Zeitgeist hat sich verändert, sodass manche Ereignisse zum Alptraum werden.

Christine Weiner wagt sich mit diesem Roman an ein interessantes Gedankenspiel, ob man das Verpasste aus der vergangenen Zeit einfach nachholen kann. 30 Jahre haben die Frauen eine Menge Lebenserfahrung sammeln lassen, die ihre Kompromissbereitschaft sinken ließ. Veränderungen der Umstände zwangen auch die Freundinnen im Laufe der Zeit, ihre Haltung zu ändern. Erst auf engem Raum erkannten sie nun, wie weit sie sich eigentlich voneinander entfernt haben. Im leichten Erzählstil folgt der Leser den dreien auf ihrem Weg und wundert sich stellenweise, dass die alten Ideen immer noch Erfolg haben. Das Buch ruft Erinnerungen an Kamellederbörsen und Teegeschäfte wach und wurde somit auch für mich zur Reise in die Vergangenheit. Es unterhält und regt gleichzeitig an, über Lebenswege und verpasste Chancen, sofern es denn welche waren, nachzudenken. Nach der letzten Seite ist die Geschichte somit zumindest im eigenen Kopf nicht zu Ende und verdient eine Leseempfehlung.