Träge wie ein Sommertag

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soaphie Avatar

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Berlin, 1936. August, Olympische Spiele, viele Touristen in der Stadt. Ein bisschen Hochglanz für die Besucher, im Hintergrund braut sich Düsteres zusammen. Das Setting ist perfekt und ich mochte den Schreibstil von Anne Stern. Die Idee, diese 3 Tage im August aus verschiedenen Perspektiven tagebuchartig darzustellen fand ich grandios. Es ist wie in einem Theaterstück: ein Protagonist steht im Scheinwerferlicht, die anderen verharren in der Dunkelheit im Hintergrund. Eine Person erzählt von sich in genau dieser Stunde, an diesem Tag. Dann Schwenk, der Scheinwerfer wird auf einen andere Person gerichtet und wir erfahren von ihren/ seinen Erlebnissen 2 Stunden später an diesem Tag. So werden 3 Tage wunderbar aufgeblättert und dargestellt. Sogar die Linden der Berliner Prachtstraße "Unter den Linden" erzählen, wie sie diese Zeit als noch ganz kleine Bäumchen erlebt haben.
Die wenigen Personen des Buches sind miteinander verwoben, haben sie doch alle ein Geschäft oder Lokal in dieser Straße oder wohnen dort. Man kennt sich, man begegnet sich und jeder trägt sein Schicksal mit sich herum. Im Mittelpunkt steht die Chocolatiere Elfie, die seit ihrer trostlosen Kindheit bei ihrer Großmutter, von Dämonen und Schwermut heimgesucht wird. Sie gönnt sich wenige Freuden, ist ständig verunsichert und sucht sich Routinen im gleichförmigen Alltag, die ihr Sicherheit geben. Eines Tages wird sie mit einer Lieferung Pralinen zu Madame gebeten, einer alten kranken vornehmen Dame im Nachbarhaus. Nach anfänglicher Scheu ist Elfie fasziniert von der Geschichte der alten Dame und besucht sie mehrmals. Währenddessen verliebt sich ihre Angestellte in den Buchhändler Franz Marcus von nebenan. Bevor die beiden richtig zusammenkommen, verschwindet Franz.
Die Zeit, der Ort, die Personen, all das hat großes Potenzial und ich habe mich sehr auf den Roman gefreut, da ich gerne Geschichten aus dieser düsteren Zeit Deutschlands und Europas lese. Dieses Buch hat mich leider total enttäuscht. Es passiert einfach nichts Spannendes, die Figuren ließen mich kalt und nervten am Ende mit ihrer ewigen Zurückhaltung und ständigen Depressionen. Ja, ein Blumenmädchen wurde auf offener Straße wegen einer Lappalie verhaftet. Das ist schlimm, aber das Mädchen hatte eine Nebenrolle und interessierte eigentlich nicht weiter. Es gab mal kurz Aufregung bei den Nachbarn zum Zeitpunkt der Verhaftung und das war es dann auch. Es gab weder Rückschlüsse noch blieb irgendwas nach, der Erzählstrang endet einfach. Die Protagonisten *innen verändern sich überhaupt nicht, machen keine Entwicklung durch, bleiben gefangen in ihrem Alltag. Gut, wir reden über 3 Tage, aber genau wegen der kurzen Zeitspanne hätte ich viele kleine Plots hintereinander erwartet und einen großen Twist nachdem Madame Conte unbedingt ihre Geschichte und die Geschichte der Schokoladenmanufaktur Sawade, in der Elfie als leitende Verkäuferin angestellt ist, erzählen wollte. Und auch diese Geschichte ließ mich fragend zurück, warum musste sie erzählt werden? Ich fand sie ziemlich unspektakulär und vorhersehbar. Der Erzählstrang fokussierte sich auf die Geschichte des Unternehmens, verpuffte wie schlecht gezündeter Feuerwerkskörper und außer dass das Schokoladengeschäft den Mittelpunkt im Mikrokosmos "Unter den Linden" bildet, passiert in diesen 3 Tagen nichts Außergewöhnliches.
Zu der lahmen Geschichte passte auch die leiernde Erzählstimme von Vera Teltz. Ziemlich eintönig und emotionslos wird das Hörbuch gelesen, vielleicht gewollt so? Ich kenne die Sprecherin und die Vorgaben des Verlages nicht. Mir fiel es schwer zuzuhören und ich habe das Ende herbeigesehnt, was mir bei Hörbüchern sonst nicht passiert.
Schade. Eine fähige Autorin, eine gute Grundidee, ein gutes Thema - leider schlecht umgesetzt, mich hat es gelangweilt.