Freiheit oder Weiterfahrt hinter den Eisernen Vorhang?

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katharina2405 Avatar

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Sie haben nur „dreieinhalb Stunden“, doch zu Beginn dieser Reise – bzw. dieses Hörbuchs – wissen sie von der ablaufenden Zeit noch nichts. Sie, das sind die Fahrgäste des Interzonenzugs, der am Morgen des 13. Augusts 1961 seine Fahrt von München nach Ostberlin antritt.
Wie nicht anders zu erwarten, treffen in diesem Zug ganz unterschiedliche Charaktere aufeinander. Jede oder jeder mit einem anderen Grund, warum es eine schlechte, vielleicht aber auch eine gute Idee sein könnte die Fahrt in die DDR fortzusetzen. Ein Land, das sich gerade daran macht sich selbst und vor allem seine Bewohner einzumauern.

Ein paar Fahrgäste wissen schon früher von der vielleicht letzten Gelegenheit im Westen bleiben zu können. Irgendwann im Verlauf der Fahrt wissen aber alle im Zug, welch folgenschwere Entscheidung es sein wird, nicht noch rechtzeitig auszusteigen. Der Leser erfährt mit jedem Kilometer Bahnstrecke immer mehr über die einzelnen Fahrgäste und ihre ganz persönlichen Geheimnisse. Wer wird noch rechtzeitig aussteigen, wer fährt weiter in das Gefängnis DDR?

Ich muss zugeben, ich verliere schnell den Überblick, wenn in einem Buch oder Hörbuch zu häufig zwischen einzelnen Protagonisten hin- und hergewechselt wird. In diesem Hörbuch gelingt es aber dem Sprecher-Duo Tanja Fornaro und Robert Frank ganz hervorragend den oft schnellen Wechsel zwischen den einzelnen Fahrgästen so zu präsentieren, dass man nicht den Faden verliert.
Autor Robert Krause, der selbst mit 19 aus der DDR geflüchtet ist, verarbeitet in dem Buch nicht nur seine eigene Flucht, sondern auch die Geschichte seiner Großeltern, die vor 60 Jahren tatsächlich im Interzonenzug vor der Entscheidung standen: Aussteigen oder Weiterfahren; sie entschieden sich weiter in Richtung Osten zu fahren.

Kleinigkeiten sind mir aufgefallen, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob sie wirklich so möglich waren. Klebten ostdeutsche Polizisten 1961 wirklich schon gelbe Zettel (dreizehn Jahre vor der Erfindung der Post-Its?) auf Landkarten? Warum steht eine Dampflok getrennt von ihrem Tender im Lokschuppen und darf später dann von einer weiblichen Dampflokführerin im schicken Uniformkostüm statt im Lokführerkittel, dafür aber ohne Heizer gefahren werden? Und hatte der Autor bei seiner Beschreibung des Speisewagens nicht irgendwie das Speiseabteil eines modernen ICE vor Augen? Egal, das sind Kleinigkeiten, die der Geschichte keinen Abbruch tun.

Fazit: Kurzweilige Unterhaltung, sehr gut vorgelesen. Ich habe mich mehr als einmal dabei ertappt nach einer Autofahrt noch bis zum Ende eines Kapitels im Auto sitzen zu bleiben, um zu hören wie es weitergeht. Da sich Robert Krause so viel Zeit genommen hat die einzelnen Schicksale zu erzählen, braucht es übrigens nicht dreieinhalb, sondern mehr als achteinhalb Stunden, für die ich 4 Sterne vergebe.