Spannend und bedrückend

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Wie schon aus dem Klappentext hervorgeht, beginnt die Geschichte am 13.08.1961. Obwohl Walter Ulbricht das Gegenteil behauptet hat, wird in Berlin die Mauer gebaut, die West- und Ostdeutschland voneinander trennt. Zur gleichen Zeit sitzen mehrere Personen im Interzonenzug D-151, der von München nach Ostberlin fährt. Zu Beginn des Buches werden die Menschen vorgestellt, die in dem Zug reisen wollen. Im Wechsel werden die Personen und ihre Leben genauer betrachtet. Im Fokus steht dabei jeweils die persönliche Entscheidungsfindung, zu gehen oder zu bleiben. Der Prozess der Abwägung und Entscheidung wird dabei in unterschiedlichem Maß dargestellt.

Der ursprüngliche Grund, warum ich auf „Dreieinhalb Stunden“ aufmerksam geworden bin, ist das tolle Cover. Ich kenne den ARD-Film nicht, hatte aber gleich die Vermutung, dass es sich um einen historischen Roman oder etwas in diese Richtung handelt. Schon die ersten Zeilen des Klappentextes haben mich total gefesselt. Das Setting, in dem die Reisenden unter Zeitdruck über ihre Zukunft entscheiden müssen, hat bei mir gleich für Gänsehaut gesorgt.

Der Einstieg in das Buch ist mir ziemlich schwer gefallen, was an den Perspektivwechseln lag. Grundsätzlich hat mir diese Umsetzung gefallen, weil ich mich dadurch wirklich mit den Reisenden identifizieren konnte. Die Wechsel waren für mich aber anfangs nicht klar genug ausgestaltet, sodass ich Schwierigkeiten hatte, inhaltlich mitzukommen. Die Reisenden und ihre Schicksale sind vielfältig und aus meiner Sicht sehr interessant. Am interessantesten war für mich eine Frau, die durch ihren Vater (Major bei der Volkspolizei in Ostberlin) vom geplanten Mauerbau erfahren hat – und ihrem Mann nichts davon sagt. Neben den Reisenden wird auch die Perspektive der Lokführerin aufgegriffen, was für mich nochmal sehr interessant war. So hat jeder sein eigenes Schicksal und muss binnen kürzester Zeit die folgenschwere Entscheidung treffen, wie das eigene Leben weiter verlaufen soll. Die Verzweiflung, die im Zug ausbricht, als die Reisenden vom Mauerbau erfahren, hat mich beim Lesen tief getroffen.

Das Setting hat mir wunderbar gefallen, um die schwierige, bedrückende Situation der Charaktere darzustellen. In manche Charaktere konnte ich mich sehr gut einfühlen, während ich mit anderen nicht richtig warm geworden bin – ich denke, das liegt an den vielen Perspektivwechseln. Mir ist beim Lesen immer wieder bewusst geworden, wie hart diese Entscheidung für die Charaktere und deren weiteres Leben ist. Besonders mit Blick darauf, wie wenig Zeit die Reisenden haben, um die Entscheidung zu treffen, wird mir ganz flau im Magen. Die Situation spitzt sich mit jedem weiteren Halt zu, den der Zug erreicht. Und bald kommt die letzte Chance, um die Entscheidung zu treffen. Ich möchte mir nicht vorstellen, selbst in so eine Situation zu geraten. Die Abwägung zwischen Freiheit und Heimat, die persönlichen Belange, all das wiegt schwer. Ich denke, ohne die vielen Perspektivwechsel wäre diese Tragik noch besser zur Geltung gekommen. Das zentrale Spannungselement im Buch ist somit der Zeitmangel, der bei mir seine Wirkung nicht verfehlt hat.

Von mir gibt es eine Leseempfehlung für jeden, der Lust auf einen spannenden, emotionalen Roman mit geschichtlicher Thematik hat.