Absolutes Highlight!

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flausenherz Avatar

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Schon mit den ersten paar Seiten des Romans "Dschinns" hatte mich die Autorin Fatma Aydemir in den Bann gezogen: Hüseyin kam als sogenannter "Gastarbeiter" nach Deutschland und erfüllt sich nach jahrzehntelanger harter, einfacher Arbeit den Traum einer Wohnung in Istanbul. Eine Woche vor Beginn seiner Rentenzeit stirbt er jedoch an einem Herzinfarkt in der neuen Wohnung, während sich seine Frau und die vier teilweise bereits erwachsenen Kinder noch in Deutschland befinden. Hüseyins Leben wird von einem namenlosen Erzähler in der Du-Form rekapituliert; die Ansprache eines unbekannten Wesens an den Versterbenden.

In der Folge kommen alle vier übrigen Familienmitglieder zu Wort. Die Autorin verknüpft dabei geschickt den Gegenwartsstrang, der sich um die Beerdigung des Vaters in Istanbul dreht, mit Rückblenden der einzelnen ProtagonistInnen und legt dabei die Familiengeschichte Stück für Stück wie eine Zwiebel bis zum schmerzhaften Kern frei. Jeder und jede kämpft auf eigene Art und Weise damit, den Platz im Leben und in der Gesellschaft zu finden und insbesondere die eigenen Wünsche und Bedürfnisse gegen starre, konventionelle Denkweisen hochzuhalten. Ob nun bezogen auf Homosexualität, Feminismus oder die von den Eltern verschwiegene kurdische Herkunft, immer geht es um Selbstermächtigung, Selbstbestimmtheit und die Leerstellen innerhalb der Familie, die von den Eltern sorgsam gehütet werden.

Vielleicht ist Familie ja nichts anderes als das, ein Gebilde aus Geschichten und Geschichten und Geschichten. Aber was bedeuten dann die Leerstellen in ihnen, das Schweigen? Sind sie die Lücken, die das ganze Konstrukt am Ende zum Einsturz bringen werden? Oder sind sie die Luft, die wir zum Atmen brauchen, weil die Wahrheit, die ganze Wahrheit, unmöglich zu ertragen wäre?
(S. 189f)

Fatma Aydemir hat mir diese Familie türkischer Einwanderer der ersten und zweiten Generation auf realistische Weise unglaublich nahe gebracht mit all ihren inneren Zwiespälten und äußeren Konflikten. Durch die wundervolle Sprache, nuanciert auf jede Erzählperspektive abgestimmt, habe ich alle ProtagonistInnen ins Herz geschlossen, habe mitgelitten und mitgefühlt. Mein erstes Jahreshighlight dieses Jahr - lest dieses Buch!