‚Da ist eine Leere.'

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sabatayn76 Avatar

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‚Da ist eine Leere. Die ist schon seit einer ganzen Weile da, auch als sein Vater noch lebte. Bestimmt wird Ümit sich daran gewöhnen, dass sein Vater weg ist, man gewöhnt sich schließlich an alles, aber wie lange dauert so was? Und noch wichtiger: Wann werden sich die anderen daran gewöhnen?‘ (Seite 33)

Hüseyin hat sich abgerackert, 30 Jahre lang hat er gespart und auf vieles verzichtet, und nun hat er sich seinen Traum erfüllt, eine Wohnung in Istanbul gekauft. Er ist 59 Jahre alt und wartet darauf, dass Ümit, sein jüngster Sohn, mit der Schule fertig ist, damit Hüseyin endlich das kalte, herzlose Deutschland verlassen kann, in dem er seit Jahrzehnten lebt.

Hüseyin verbringt den ersten Abend in seiner Istanbuler Wohnung, ist stolz auf das, was er sich erarbeitet hat - und stirbt an einem Herzinfarkt.

Daraufhin reisen Hüseyins Ehefrau Emine und die vier Kinder des Paares - Perihan, Hakan, Ümit und Sevda - an die Stadt am Bosporus, um Hüseyin dort zu Grabe zu tragen.

Vor vielen Jahren habe ich Fatma Aydemirs Debüt ‚Ellbogen‘ mit großer Begeisterung gelesen, und ‚Dschinns‘ hat mir sogar noch besser gefallen. ‚Dschinns‘ hat eine unheimliche Wucht, schon die allererste Seite hat mich direkt gefangen genommen, und am Ende des ersten Kapitels war ich berührt und bewegt, unendlich gespannt auf die Geschichte und sicher, dass ich ein Lieblingsbuch 2022 in den Händen halte.

Knapp 350 Seiten später bin ich immer noch berührt und bewegt, halte ein Lieblingsbuch 2022 in den Händen und blicke zurück auf eine Geschichte, die mich durchweg begeistert und beeindruckt hat, die komplex ist, aber nie überladen wirkt, die immer wieder überrascht, aber nie unrealistisch ist.

Aydemir erzählt plastisch und lebendig, sprachlich anspruchsvoll und dennoch leichtfüßig und flüssig von Hüseyins und seiner Familie, vom Verlassen der Türkei, vom Leben in Deutschland, von Sehnsüchten und Träumen, von Rückschlägen und Verlusten. Sie berichtet von Ümits sexueller Orientierung und seinen Mobbingerfahrungen, von Sevdas unglücklicher Ehe, von Perihans schwerem Verlust, den sie vor Jahren erlitten hatte, von Hakan, der sich entschieden hat, die mehreren tausend Kilometer nach Istanbul mit dem Auto zu fahren, und Emine, die nach der Beerdigung ein großes Geheimnis mit ihrer Tochter teilt.

‚Dschinns‘ ist ein wundervoller Roman, den ich eines Tages gerne noch einmal lesen möchte.