Die Problematik des Schweigens

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dj79 Avatar

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Als Gastarbeiter kam Hüseyin vor 30 Jahren nach Deutschland. Er hat jeden Job gemacht im Stahlwerk, später in der Papierfabrik, jede Überstunde durchgezogen, um seine Familie nachzuholen und sich jetzt zum Ruhestand den Traum einer eigenen Wohnung in Istanbul zu erfüllen. Doch leider hat er bis auf ein paar erste Eindrücke zur wuseligen Atmosphäre nichts mehr davon. Er stirbt an einem Herzinfarkt.

Hüseyins Ehefrau und Kinder begeben sich nun kurzfristiger als ursprünglich geplant ebenfalls nach Istanbul, um ihn zu beerdigen. Hüseyins Traum, die Wohnung rückt völlig in den Hintergrund, schien mir zwischendurch wie ein Fluch. Während der Anreise und des Aufenthaltes in der Wohnung lernen wir die Kinder schrittweise kennen, zum Ende hin auch Emine, Hüseyins Ehefrau. Jeder Person ist dafür ein eigenes Kapitel gewidmet. Durch das Lesen in den Gedanken der Protagonist:innen kennen wir die Familie am Ende besser als sie sich selbst. Denn Schweigen ist ihr Hauptproblem. Schicksalsschläge werden nicht thematisiert, Wünsche nicht adressiert. Alle sind gewissermaßen gefangen in dem Zwang, die Erwartungen der Vorgängergeneration zu erfüllen. So macht jedes Familienmitglied seine Probleme mit sich selbst aus.

Fatma Aydemir zeichnet sehr eindrücklich das Umfeld, mit dem sich die Familie früher in der Türkei und später in Deutschland auseinandersetzen musste. Die beengte Mietskaserne mit Blick auf die und Abgaswolken von der Fabrik ist in diesem Zusammenhang hervorzuheben, aber auch die Unterstützungsleistung, die Sevda, eine der Töchter, eine Zeit lang für ihre Großeltern in der Türkei erbringen musste. Trotz der Last, die auf jedem Charakter liegt, hatte der Roman für mich keinen deprimierenden Touch. Er ist mehr ein Augenöffner für viele Probleme, die in weiten Teilen nichts mit Migration zu tun haben. Besonders gefallen hat mir die an den jeweiligen Charakter angepasste Sprache. Die Studentin hat einen anderen Sprachgebrauch als der Autoliebhaber, die Eltern sind sprachlich klar von den Kindern abgegrenzt. Irgendwie erfrischend, weil damit der Lesefluss angetrieben wird, aber auch stark überzeichnet, finde ich die schiere Anzahl der Probleme. Das kratzt ein bisschen an der Glaubwürdigkeit des Romans, hat mich hier allerdings gar nicht gestört.

Insgesamt war Dschinns für mich ein Lesevergnügen, das ich sehr gern weiterempfehle.