Ein Erdbeben von Roman!

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mike nelson Avatar

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Eigentlich möchte ich gar nicht viel über das wunderbare Buch "Dschinns" von Fatma Aydemir erzählen und einfach nur sagen: Bitte lest es! Unbedingt! Eindringliche Sprache. Gelungene Komposition. Figuren, die mit Tiefe ausgestattet sind und eine Handlung, die von der ersten Seite an Tragödie ist. Wie anders sollte es auch sein, wenn der Familienvater Hüseyin, einem kurdischen Dorf entstammend, nach 30 Jahren auszehrender Arbeit und Anpassungsdruck in Deutschland sich für einen vorzeitigen Gang in die Rente auszahlen lässt und seiner Familie, bestehend aus vier mehr oder weniger erwachsenen Kindern und seiner Frau Enime eine Wohnung in Istanbul anschafft, dort in der bezugsfertigen Wohnung angekommen einen tödlichen Herzinfarkt erleidet. Dieses Ausgangsszenario ist die Bühne für den Auftritt der einzelnen Familienmitglieder mit ihren jeweiligen Gesachichten. Sie treffen sich anlässlich des Todes von 'Baba' in der neuen Wohnung, die sie nie beziehen werden. Schnell wird deutlich, dass es in der Familiengeschichte Geheimnisse gibt, dass das viele Ungesagte das Miteinander stört. Ein wahres Erdbeben erschüttert die Familie. Fängt es mit dem Tod des Familienoberhauptes an, so steht auch am Ende wieder der Tod, begleitet von Enimes Erkenntnis: "Weil Vergebung das Einzige ist, was gegen unsere Einsamkeit hilft. Weil anderen zu vergeben der einzige Weg ist, dass auch dir vergeben wird. Dass du dir selbst vergeben kannst." Und so steht am Ende auch die Hoffnung, dass es einen Weg aus der Sprachlosigkeit geben wird, die wie ein düsterer Schatten für Jahrzehnte über der Familie gelegen hat. Nur ist es am Ende zu spät. Fatma Aydemir gibt mit viel psychologischem Feingefühl jeder Figur dieses Familiendramas ihren eigenen Raum und eine eigene Sprache und versteht es in hervorragender Weise, uns Lesenden die Allwissenden-Rolle anzubieten, erfahren wir doch stets mehr über die einzelnen Familienmitglieder als jede/r der Protagonist:innen über die jeweils anderen weiß. Und so haben wir Seite für Seite düstere Vorahnungen, wohin sich die Geschichte entwickeln wird. Und natürlich fordert uns "Dschinns" (die Geister, die uns immer begleiten) auch heraus, darüber nachzudenken, wie wir seinerzeit mit den Menschen umgegangen sind und auch heute noch umgehen, die wir zum Arbeiten in unser Land geholt haben. Vielleicht waren ja Aufnahmebereitschaft, Respekt und Toleranz noch nie so richtig unsere Stärken!