einer der besten romane der letzten zeit, eine brilliante sprache

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blätterwald Avatar

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„…, weil man nur dort zuhause war, wo man jemanden hatte, der einen verstand…“
Ein Buch, welches einem vom ersten bis zum letzten Satz nicht mehr loslässt. Eine Sprache, die nicht nur fesselt, sondern den Leser packt und dann nicht mehr loslässt. Ein Schreibstil, der zu keiner Zeit aufgesetzt oder langweilig wird. Eines der Highlights dieses Jahres.
Das Buch ist Familiengeschichte, Zeitgeschichte und noch so vieles mehr. Hier geht es nicht nur um eine Familie, die in vielerlei Hinsicht nicht die ist, die sie eigentlich sein müsste. Kurden, die in der Türkei fremd sind, Ausländer, die in Deutschland fremd sind, die dort als Kanaken bezeichnet werden. Niemand ist irgendwo heimisch und kann Wurzeln schlagen. Offen und schonungslos haut einen die Autorin das alles um die Ohren, mal mit deutlicheren Worten, mal versteckt hinter Bildern.
Der Aufbau des Buches ist schlicht und einfach aber genial. Es beginnt mit dem Kapitel des Vaters, der in der gerade bezogenen Eigentumswohnung in Istanbul stirbt. Dort berichtet der auktoriale Erzähler, er spricht direkt mit Hüseyin. In den folgenden Kapiteln kommen die Kinder zum Zug, jeweils jeder mit einem personalen Erzähler ausgestattet. Zum Ende hin spricht der auktoriale Erzähler mit der Mutter und alles fügt sich. Die fehlenden Puzzleteile werden gefunden und es ergibt sich ein schlüssiges Gesamtbild. Großartig gemacht, muss ich mal sagen.
Es ist wie ein Kreis, der sich wieder schließt und wieder spricht die Stimme eines Dschinns. Wie die Autorin das gemacht hat, das hat was, etwas Atmosphärisches, bedrohliches und doch wieder vertrauenserweckendes.
„Sie hat zugeschaut, wie die Menschen ihre eigenen bevorstehenden Tode beweinten und ihre eigene Gegenwart und Sehnsüchte begruben.“
Was für wahre Worte, die die Autorin ihre Protagonisten sagen lässt. Und immer wieder Zeitgeschichte und Familie zusammenbringt. Worte, die nicht gesagt werden, aber in der Luft hängen und die Atmosphäre vergiften. Sagt nicht am Ende das Buch, Mund auf und vieles wäre so nicht geschehen. Es musste alles so kommen, weil das Schweigen das Miteinander verhindert hat. Warum geht ihr Menschen nicht aufeinander zu, umarmt euch, seid beieinander miteinander und nicht nur nebeneinander? Es ist ein kluges Buch und es hätte in jedem anderen Kulturkreis genauso spielen können.
Präzise werden hier die Worte gesetzt, ganz genau wird alles beleuchtet, die Lebensweise der Türken in Deutschland, die hier die Ausländer sind. Und sie sind Kurden, also zu Hause auch unerwünscht. Die Autorin schneidet vieles nur kurz an mit wenigen Worten, aber diese sind genaustens gesetzt, so dass der Leser nicht mehr benötigt und bescheid weiß. Die Sprache hier ist sehr intensiv, messerscharf. Es ist einfach ein großartiger Roman, der hoffentlich die Aufmerksamkeit bekommen wird, die er verdient.