Jahres- und Lebenshighlight!

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„Vielleicht sind das die Dschinns, die Wahrheiten, die immer da sind, immer im Raum stehen, ob man will oder nicht, aber die man nicht ausspricht, in der Hoffnung, dass sie einen dann in Ruhe lassen, dass sie im Verborgenen bleiben für immer.“

Das kurze Kapitel, mit dem Fatma Aydemir ihren zweiten Roman „Dschinns“ beginnt, ist ein rasanter Einstieg in die Geschichte der Familie Yılmaz, die in den 1970er Jahren aus der Türkei nach Deutschland kam – und sich hier vor allem ein neues und besseres Leben erhoffte. Genau dafür hat Vater Hüseyin nun fast dreißig Jahre lang schwer gearbeitet und mit dem Eintritt in die Rente, kommt nun endlich auch die Zeit für seine Belohnung: Gemeinsam mit seiner Frau Emine, möchte er den Lebensabend in einer wunderschönen Dreizimmerwohnung in Istanbul verbringen. Platz für den Besuch der vier Kinder gibt es genug, endlich wird es auch die Zeit dafür geben – das ist Hüseyins Traum. Leider wird er es bleiben, denn am Tag des Umzugs erleidet der Familienvater einen Herzinfarkt und stirbt. Seine Hinterbliebenen sind geschockt und machen sich, unabhängig voneinander, in den folgenden Tagen auf den Weg in die Türkei, zur Beerdigung.

Aydemir schildert kapitelweise wechselnd aus der Sicht der vier Kinder Ümit, Sevda, Peri und Hakan und endet schließlich mit der Perspektive von Mutter Emine. Im Mittelpunkt dieser Portraits steht allerdings weniger das Verhältnis zum Verstorbenen als vielmehr die eigene Heimatlosigkeit, als Gefühl, das die Familie, die nur noch aus Einzelpersonen zu bestehen scheint, schlussendlich verbindet. Sie beschreibt die Migration dieser kurdischen Familie in Deutschland, erzählt von Sexismus, Rassismus und einem traurigen Geheimnis der Eltern, das auch das Leben der vier Kinder bestimmen wird. Aber ihr Fokus liegt nicht ausschließlich auf dem Gesagten. Viel mehr geht es um blinde Flecken, die Dinge, die wir über uns und andere nicht wissen, weil wir nicht darüber sprechen. Durch die kluge Komposition der vielen verschiedenen Perspektiven webt Aydemir einen dichten Teppich der Ereignisse, wirft Fragen der Identität, Kultur und des Glaubens auf und zeigt nur ihren Lesenden die (vielleicht) absolute Wahrheit – sofern es diese überhaupt gibt. Ebenso wie die titelgebenden Dschinns. Und ganz ohne kitschig oder esoterisch zu werden, schwingt zwischen den Zeilen auch immer etwas Mächtiges mit, mystisch und gottgleich, das dem Roman aber nur eine besondere Spannung verleiht, die sich im Rahmen der Handlung aufbaut und im finalen Kapitel schlussendlich entlädt. Hier zeigt sich auch die wahre Erzählkunst der Autorin, die es schafft auf den letzten Seiten alle Fragen zu beantworten und die losen Enden ihrer Geschichte allesamt miteinander zu verbinden!

Ich bin gleichermaßen hochgradig begeistert wie unfassbar berührt und konnte mir die Tränen am Schluss auch nicht verkneifen. „Dschinns“ ist für mich schon jetzt die beste Frühjahrsnovität, ein Jahres- und Lebenshighlight. Und dem Titel zum Trotz, beweist Fatma Aydemir, dass es keine Flaschengeister braucht, um tatsächlich Wünsche erfüllen zu können: DANKE für dieses wundervolle Werk und danke auch für das Rezensionsexemplar!