Vielschichtig und fesselnd

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savashanim Avatar

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Für mein kommendes Lesejahr sehe ich leider jetzt schon schwarz, denn ich habe mein Highlight für 2022 schon gefunden. Fatma Aydemir hat mit Dschinns einen grandiosen Roman hingelegt, der so unglaublich vielschichtig und faszinierend ist. Er vereint Familiengeschichte, culture-clash, coming of age, er handelt von Assimilation und Integration, von der Frage, wie kann man Heimat finden in einem Land, das einem nicht Heimat sein will und wie sich in einer Kultur behaupten, die man nicht oder nicht mehr kennt und versteht.
Dschinns sind in der türkischen Mythologie die Fehler und Sünden, die man begangen hat, die Verletzungen und Enttäuschungen, die man erlitten hat, kurz die Dämonen, die uns alle in unserem Leben begleiten.
Hüseyin hat sich als Gastarbeiter im fernen, kalten Deutschland, in dem er nie zu Hause war, krank gearbeitet, sich und seiner Familie nichts gegönnt, um sich irgendwann den großen Lebenstraum zu verwirklichen: Eine Eigentumswohnung in Istanbul. Und wie er am ersten Tag seines Ruhestandes in dieser Wohnung steht und sich die Gesichter und die Begeisterung seiner Familie vorstellt, die in wenigen Tagen kommen und die Wohnung beziehen soll, stirbt er. Begleitet und kommentiert von seinem eigenen Dschinn. Er wird seinen Traum nie wahr werden sehen.
Seine überstürzt aus Deutschland angereiste Familie, seine Frau Emine und die Kinder Sevda, Hakan, Perihan und Ümit müssen sich nicht nur mit dem plötzlichen Tod des Vaters auseinandersetzen, sondern auch mit ihren jeweils eigenen Dämonen, den kleinen und großen Verletzungen, die sie sich gegenseitig angetan haben und auch das Land, in dem sie heute zu Hause sind, das sie aber nie wirklich willkommen geheißen hat.
Es geht um nicht erhaltene Chancen, um verlorene Liebe, um die verleugnete Kultur und den Versuch, seinen Platz im Leben zu finden. Und über allem schwebt ein großes Familiengeheimnis, das der Ursprung allen Übels ist.
Fatma Aydemir lässt ihre Protagonisten sachlich und nüchtern aus ihrem Leben erzählen, dennoch schreibt sie so kraftvoll, dass man den Schmerz jeder einzelnen Person fühlen und miterleben kann.
Für mich ein großartiges Buch und es wird nicht das letzte gewesen sein, das ich von dieser Autorin gelesen habe