Zwischen Tradition und Emanzipation

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Wenn ein Buch diesen Februar so richtig durch die Decke ging, dann war es „Dschinns“ von Fatma Aydemir. Die Autorin erzählt in diesem Roman von einer türkisch-deutschen Familie. Vater Hüseyin kam in den 1970ern nach Deutschland, hat jahrelang geschuftet und gespart und sich nun den Traum einer eigenen Immobilie in Istanbul erfüllt. Kurz nach dem Einzug verstirbt er jedoch an einem Herzinfarkt und so stehen seine Frau Emine und seine zum Großteil in Deutschland aufgewachsenen Kinder plötzlich alleine mit einer Wohnung in der Türkei, einem Leben in Deutschland und Verbindungen zu beiden Ländern da. In verschiedenen Perspektiven geht die Autorin den Gefühlen und Schicksalen der Mitglieder dieser Familie auf den Grund. 

Gerade der Einstieg in Form einer Ansprache an Hüseyin hat mich total in das Buch gezogen, gefesselt und emotional mitgenommen. Der Schreibstil von Fatma Aydemir ist sehr intensiv und trifft genau auf den Punkt. Dabei werden Redewendungen und Bilder benutzt, die ich so noch nicht gelesen habe. Stilistisch hat mich der gesamte Roman wirklich beeindruckt.

Durch die Vielzahl der Perspektiven schafft die Autorin es natürlich auch eine Vielzahl von Themen anzuschneiden. Ich schreibe hier bewusst „anschneiden“, denn jedes einzelne Familienmitglied bietet wahrscheinlich eine eigene Romanvorlage. Interessant fand ich vor allem, wie sehr sich das Verhältnis der vier Kinder zur türkischen Kultur und zu den Eltern gestaltet. Sevda ist die älteste Tochter und bis in ihre Pubertät hinein bei den Großeltern in der Türkei geblieben, während der jüngste Sohn Ümit in Deutschland geboren wird. Allein der Blick auf die Eltern und umgekehrt war in jedem Romanabschnitt sehr bereichernd, interessant und vielschichtig.

Auch ein starker Aspekt ist das Thema Emanzipation im Kontrast mit den Traditionen und Idealbildern der Gesellschaft und der Eltern. Und damit meine ich nicht nur Hüseyin und Emine als Eltern, denn schon Emine selbst fühlte sich in ihrer Jugend bevormundet und machtlos. Fatma Aydemir hat einen sehr ehrlichen Blick auf diesen Teufelskreis geworfen, der sich auch in anderen Kulturen und Familien über Generationen wiederholt.

Alles in allem hat „Dschinns“ mich ebenfalls überzeugt. Ein ganz toller Roman über die Geschlechterbilder in der Türkei und Deutschland, über eine Mirgrationsgeschichte, über das Verhältnis von Kurden und Türken, über Identität, Toleranz und Diskriminierung. Und das alles sehr sehr kraftvoll und bildlich erzählt. Ganz stark!