Ästhetische Mordlust

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daisyyyyy Avatar

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Der Debütroman von Meagan Jennett "Du kennst sie" schafft, was nur wenigen Thrillern gelingt – die Perspektive einer Killerin, die absolut nicht nur an der Oberfläche kratzt. Sophie Braam ist eine intelligente, aufmerksame Menschenkennerin, die als Barkeeperin zwischen Charakterstudien beinahe zu viel Wissen über ihren Job angehäuft hat als die Kundschaft wertschätzen kann. Von der Wahl der Sektschale über Flöten für den Champagner bis zur Zusammensetzung der Salzlake in ihrem Vorratsschrank überlässt sie nichts zum Zufall, was ein total treffendes und schönes Bild für ihre Gründlichkeit ist und dem Wunsch, nichts dem Zufall zu überlassen.

Die Emotionen Sophies und ihr Hass auf die sexistischen, egoistischen und notgeilen Männer, denen sie nicht aus dem Weg gehen kann, überkommen sie nicht in einem Rausch als wäre ihr Wunsch nach Rache gänzlich neu, sie sind metaphorisch extrem geschickt eingebettet und lassen dennoch neben Wut und Genugtuung auch Panik, Angst und Enttäuschung zu. Ein tolles Spiegelbild zu ihr ist Nora, die Polizistin auf ihren Fersen, die in ihrem männerdominierten Berufsfeld ebenfalls Probleme hat, sich nicht unterkriegen zu lassen. Sie leidet auch mehr unter Fällen von ermordeten Frauen, als unter der Reihe ermordeter Männer, und dennoch steht sie nicht nur auf der Seite des Gesetzes, sondern ist tief überzeugt von der Gleichheit aller Menschen.

Ich bin verliebt in den Stil dieser Geschichte, keine Ausführung abseits des Geschehens hat keine Relevanz für die Geschichte, kein scheinbar nebensächlicher Exkurs wird nicht wieder aufgegriffen und lässt tiefer in die Beweggründe und Motivationen Sophies blicken. Zeitweise reduziert das etwas das Tempo der Geschichte, aber ich hab mich jedes Mal wieder gefreut, wenn ein solcher Textabschnitt begann.

Ich würde dieses Buch absolut Leute empfehlen, die sich sonst eher weniger für Thriller erwärmen können und die den Hass einer Frau auf eine ungerechte Welt mitfühlen möchten und können. Ich hatte das Gefühl, dass die Geschichte insgesamt weniger nervenaufreibend auf der Handlungsebene ist, aber dafür mehr Frustration auf sozialer Ebene auslöst, die im moralischen Dilemma genauso Spannung erzeugen kann, denn du kennst sie. Die Frauen, die ermordet werden wie die Männer in diesem Buch. Du kennst sie, Frauen, die sich nachts nicht heraustrauen, die von Männern belästigt werden, die sich nicht trauen, zu tragen, was sie wollen, die sich klein machen und verstecken, damit sie in dieser Welt überleben können. Meagan Jennett legt den Finger direkt in diese Wunde unserer Gesellschaft und drückt unnachgiebig darin herum.