Wenig Literatur, dafür umso mehr moralische Denkanstöße
Die als „Roman“ bezeichnete Veröffentlichung der Professorin für Strafrecht sowie sowie Richterin Elisa Hoven ist vielmehr eine Sammlung an neun literarisch aufgearbeiteten, juristischen Fallvignetten, die lose durch die Bedenken einer Strafverteidigerin an ihrer eigenen Arbeit zusammengehalten werden. Eva Herbergen teilt uns direkt zu Beginn des Buches mit, dass sie ihre Anwaltszulassung als Strafverteidigerin in Berlin zurückgeben wird. Wie es zu dieser Entscheidung, welche sich bereits 20 Jahre zuvor als Zweifel in ihr Leben schlich, erfahren wir nach und nach, indem wir verschiedene Fälle aus ihrem beruflichen Leben und wie diese ihre moralischen Stützpfeiler ins Wanken brachten geschildert bekommen. Dabei sei für Betroffene gesagt: Es wird auch ein Fall einer heftigen Gruppenvergewaltigung beschrieben.
Fast wie Kurzgeschichten wirken die einzelnen Fälle der Eva Herbergen im Buch präsentiert. Immer mit einer prägnanten Überschrift, der zeitlichen Einordnung und einer innerhalb der Fälle klare Einteilung mit Teilüberschriften. Jeder Fall wirkt auf den ersten Blick rechtlich wie moralisch erst einmal auf den ersten Seiten recht eindeutig. Erst mit dem Blick von verschiedenen Seiten und im Verlauf erkennen die Leser:innen wie auch die Strafverteidigerin selbst, dass ein Sachverhalt nie so einfach ist, wie er erst einmal scheint. Selbst wenn sich juristische Klarheit schaffen lässt, bleiben bei jeder Geschichte starke moralische Zweifel zurück. Ein jeder Fall stellt ein moralisches Dilemma dar. Es wird immer klarer, dass „Recht“ nicht dasselbe wie „Gerechtigkeit“ sein muss. Dass der Rechtsstaat, der mehr als eine Berechtigung hat und wir froh sein sollten, dass es ihn in Deutschland gibt, jedoch nicht immer jeder betroffenen Person Gerechtigkeit verschaffen kann. Und so wie Eva Herbergen immer mehr Schwierigkeiten hat zu erkennen, was richtig und was falsch ist, so ergeht es auch den Leser:innen dieses Buches. Man ist hin und her gerissen zwischen den handelnden Personen, fragt sich zunehmend, wer ist eigentlich „Täter“ und wer „Opfer“ und wie eindeutig kann diese Zuschreibung überhaupt sein. Gerade der menschliche Faktor im Rechtssystem wird von Elisa Hoven besonders herausgestellt, was von Natur aus schon eine Einordnung in ein stringentes System von Paragraphen erschwert bis unmöglich macht.
Während diese vielen moralischen Dilemmata für mich das Kernstück des Buches darstellen und ich jedes für sich genommen unglaublich interessant fand, muss ich konstatieren, dass das Buch literarisch eher wenig zu bieten hat. Der Roman ist sehr konventionell bis sprachlich simpel geschrieben. Die starke Strukturierung scheint der Annäherung an Fallvignetten geschuldet zu sein, hat für mich das Buch allerdings auch in ein starres Korsett geschnürt. Vom Spannungsbogen her stellt für mich der siebte Fall, die Vergewaltigung, die Klimax dar. Die zwei Fälle, die danach geschildert werden, sind zwar für die Entscheidung der Protagonistin ihre Zulassung zurückzugeben besonders wichtig, verblassten allerdings für mich nach dem heftigen siebten Fall. Fast nebensächlich wirkten sie im Vergleich. Aber das kann an meiner eigenen moralischen Einschätzung liegen.
Und genau das ist die Stärke des Buches: Das ständige Hinterfragen eigener moralischer Prinzipien. Die Frage: Wie hätte ich agiert, geurteilt, verteidigt? Deshalb entscheide ich mich auch ganz knapp für ein Aufrunden auf 4 Sterne. Literarisch ist das Buch für mich solide, aber nicht mehr als 3 Sterne in der eigenen Bewertung, inhaltlich allerdings greift es viele Ambiguitäten auf, was mir sehr gut gefallen hat und mich das Buch atemlos hat lesen lassen.
3,5/5 Sterne
Fast wie Kurzgeschichten wirken die einzelnen Fälle der Eva Herbergen im Buch präsentiert. Immer mit einer prägnanten Überschrift, der zeitlichen Einordnung und einer innerhalb der Fälle klare Einteilung mit Teilüberschriften. Jeder Fall wirkt auf den ersten Blick rechtlich wie moralisch erst einmal auf den ersten Seiten recht eindeutig. Erst mit dem Blick von verschiedenen Seiten und im Verlauf erkennen die Leser:innen wie auch die Strafverteidigerin selbst, dass ein Sachverhalt nie so einfach ist, wie er erst einmal scheint. Selbst wenn sich juristische Klarheit schaffen lässt, bleiben bei jeder Geschichte starke moralische Zweifel zurück. Ein jeder Fall stellt ein moralisches Dilemma dar. Es wird immer klarer, dass „Recht“ nicht dasselbe wie „Gerechtigkeit“ sein muss. Dass der Rechtsstaat, der mehr als eine Berechtigung hat und wir froh sein sollten, dass es ihn in Deutschland gibt, jedoch nicht immer jeder betroffenen Person Gerechtigkeit verschaffen kann. Und so wie Eva Herbergen immer mehr Schwierigkeiten hat zu erkennen, was richtig und was falsch ist, so ergeht es auch den Leser:innen dieses Buches. Man ist hin und her gerissen zwischen den handelnden Personen, fragt sich zunehmend, wer ist eigentlich „Täter“ und wer „Opfer“ und wie eindeutig kann diese Zuschreibung überhaupt sein. Gerade der menschliche Faktor im Rechtssystem wird von Elisa Hoven besonders herausgestellt, was von Natur aus schon eine Einordnung in ein stringentes System von Paragraphen erschwert bis unmöglich macht.
Während diese vielen moralischen Dilemmata für mich das Kernstück des Buches darstellen und ich jedes für sich genommen unglaublich interessant fand, muss ich konstatieren, dass das Buch literarisch eher wenig zu bieten hat. Der Roman ist sehr konventionell bis sprachlich simpel geschrieben. Die starke Strukturierung scheint der Annäherung an Fallvignetten geschuldet zu sein, hat für mich das Buch allerdings auch in ein starres Korsett geschnürt. Vom Spannungsbogen her stellt für mich der siebte Fall, die Vergewaltigung, die Klimax dar. Die zwei Fälle, die danach geschildert werden, sind zwar für die Entscheidung der Protagonistin ihre Zulassung zurückzugeben besonders wichtig, verblassten allerdings für mich nach dem heftigen siebten Fall. Fast nebensächlich wirkten sie im Vergleich. Aber das kann an meiner eigenen moralischen Einschätzung liegen.
Und genau das ist die Stärke des Buches: Das ständige Hinterfragen eigener moralischer Prinzipien. Die Frage: Wie hätte ich agiert, geurteilt, verteidigt? Deshalb entscheide ich mich auch ganz knapp für ein Aufrunden auf 4 Sterne. Literarisch ist das Buch für mich solide, aber nicht mehr als 3 Sterne in der eigenen Bewertung, inhaltlich allerdings greift es viele Ambiguitäten auf, was mir sehr gut gefallen hat und mich das Buch atemlos hat lesen lassen.
3,5/5 Sterne