Mehr als nur ein historischer Krimi!

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karrrtigan Avatar

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Ich habe von dem Buch einen Krimi erwartet, der ein bisschen vor dem Hintergrund der Nachkriegszeit spielt. Nicht mehr und nicht weniger.

Bekommen habe ich aber wesentlich mehr, denn die Krimi-Handlung war zwar durchaus spannend, aber die Charaktere und die Art, wie die Autorin mit dem gesamten Setting umgeht, haben das Buch auf eine ganz andere Ebene gehoben!
Wir haben die beiden Hauptfiguren Friederike Mathée und Richard Davis, die gemeinsam einen Mord aufzuklären versuchen, und beide sind ausgesprochen interessante, authentische, komplexe Charaktere mit reichen, gut durchdachten Hintergrundgeschichten, Eigenschaften und Schwächen. Beide sind auf verschiedene Art vom Krieg bzw. dem Nazi-Regime gezeichnet, und das auf eine Weise, die - soweit ich das beurteilen kann - absolut realistisch ist, ohne (und das hat mich am meisten begeistert) in Klischees abzudriften. Wir haben auch einen großen Fokus auf den unverarbeiteten Traumata, die für die Charaktere daraus entstanden sind, wie sie damit (wenig erfolgreich) umzugehen versuchen, und wie sie als Personen dadurch definiert sind. Positiv ist mir außerdem aufgefallen, dass wir hier keine klischeehafte Liebesgeschichte zwischen den beiden Hauptfiguren vorfinden, wie ich das zu Anfang befürchtet hatte.

Der historische Hintergrund kommt mir (als Laie) sehr gut recherchiert vor, und die Autorin hat viele Details einfließen lassen, die das Setting absolut realistisch und echt wirken lassen. Die direkte Nachkriegszeit ist eine Epoche, über die ich bisher nur selten bis gar nicht Romane gelesen habe. Es ist eine Zeit, die aus heutiger Sicht schwer greifbar und unglaublich komplex ist (alte Nazis, neue Besatzer, viele Mitläufer, zerstörte Städte, Hungersnot, riesiger Schwarzmarkthandel, Entnazifizierung, etc...), aber die Autorin berührt fast alle diese Themen und Probleme und zeigt diese Komplexität, ohne den Leser mit der Moralkeule zu erschlagen. Die Aufarbeitung von Krieg und Holocaust sind ein großes Thema im Buch, und die Figuren gehen sehr authentisch absolut unterschiedlich damit um. Es entsteht oft eine beklemmende Atmosphäre, die trotz aller dramatischen Ereignisse aber nicht immer nur düster und depressiv daher kommt. Die Figuren verfolgen eine Art Pragmatismus, denn trotz allem musste das Leben ja irgendwie weitergehen, und diese Stimmung spürt man als Leser auch im Buch.

Insgesamt denke ich, dass das Genre "historischer Krimminalroman" dem Buch nicht ganz gerechet wird. Ja, es gibt einen Kriminalfall, der aufgeklärt werden soll, aber die große Stärke des Buches sind eigentlich die Haupt- und Nebencharaktere und das Setting. Darin ist der Kriminalfall eingebettet. Ich hoffe, das Buch ist der Start einer Serie, und wenn das so ist bin ich beim zweiten Teil sehr gern wieder dabei!
Der Roman hat mich insgesamte sehr beeindruckt und bewegt, und ich kann es nur uneingeschränkt weiterempfehlen.