Egoland

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gabriele 60 Avatar

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„Er war ein Blender, dachte er und irgendwann würden sie ihn enttarnen, zumindest hatte er das einmal angenommen, aber irgendwann hatte er auch verstanden, dass niemand Interesse daran hatte, ihn zu enttarnen. Sie wollten sich täuschen lassen. Sie wollten Oberflächlichkeiten, etwas Glattes und Einfaches, das niemand vor Rätsel stellt.“ (Seite 112)

Michael Nast hat in seinem ersten Roman laut eigenen Angaben tatsächlich stattgefundene Ereignisse festgehalten. Er schreibt über einen Schriftstellerkollegen, mit dem er einmal befreundet war. Dass der sich das Leben genommen hat, erfährt der Leser schon im Prolog. Als Erbe bekam Michael Nast die Aufzeichnungen über das letzte Lebensjahr des Mannes, den er schon aus seiner Jugend kannte. Daraus wurde dieser Roman, in dem er die Ursachen des Suizides aufdeckt.

Eigentlich ein Thema, das Interesse erweckt. Aber leider sind die ersten 200 Seiten so ausführlich beschrieben, dass mir beim Lesen ständig die Augen zufielen. Hier wird die Berliner Schickimicki-Szene beschrieben: wie gesoffen und palavert wird, und die Menschen kreuz und quer miteinander schlafen. Schade, dass Berlin nur für diejenigen lebendig wird, denen Stadtteile und Straßen- oder Kneipennamen geläufig sind. Die erhoffte Atmosphäre blitzt nur selten auf. Wichtiger sind dem Autor nichtssagende Gespräche: „Die Gespräche, die er in den letzten zwanzig Minuten geführt hatte, waren ineinander verschlungene Monologe, die sich nicht berührten“ (Seite 119)

Es dauert weit über 200 Seiten, ehe die Schamlosigkeit des Toten so richtig zum Tragen kommt. Wenn er sich überlegt „Manchmal hat man nur die Chance auf eine glückliche Beziehung , indem man eine andere zerstört“ (Seite 271), entsteht sogar so etwas wie Spannung. Da langweilen plötzlich die vielen Whatsup-Nachrichten weniger, ganz im Gegenteil wird die Abhängigkeit von der Technik und die damit entstehende Lebensferne deutlich.

War ich zu Beginn des Buches noch der Meinung, dass es - auch wegen der unendlich vielen Druckfehler - höchstens zwei Sterne wert ist, wurden es schließlich doch drei. Ich denke, dass mit einem ordentlichen Lektorat und einigen Kürzungen aus dem Thema mehr herauszuholen gewesen wäre.