Hinter der Fassade

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Einerseits denken wir alle, dass wir die Welt, dass wir die Menschen um uns herum kennen: Facebook & Co. machen das Private transparent, sorgen dafür, dass Verwandte, Nachbarn, Kollegen, Freunde alle „gläsern“ erscheinen. Doch wie sieht es wirklich hinter der Fassade aus? Sind „die Anderen“ wirklich glücklich? Oder sind die Schöne, der Erfolgreiche, das glückliche Paar in Wirklichkeit innerlich zerrissen?
Blicke hinter die Fassade liefert Michael Nast mit seinem Roman „#Egoland“. Ob das Lesen lohnt, dazu nun Stück für Stück mehr.

Der Autor:
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Michael Nast ist Jahrgang 1975, lebt in Berlin, arbeitet als Kolumnist und Schrifsteller. Sein Werk „Generation Beziehungsunfähig“ wurde ein internationaler Erfolg.
Mit „#Egoland“ taucht Nast erstmals ins Romangenre ein.


Ort und Zeit der Handlung:
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Die Geschichte spielt im Berlin der Gegenwart.


Die Figuren:
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* a) Andreas Landwehr
Landwehr ist Schriftsteller Mitte 40. Erfolgreich, so scheint es, lebt er in einer schönen Wohnung ein schönes Leben: Alles ist stilvoll eingerichtet, Landwehr besucht In-Partys in Clubs und Galerien, wird dort, aber auch in Bars immer wieder als der erfolgreiche Autor bewundert und angesprochen. Er genießt den Ruhm, der ihm zugleich auch lästig ist. Denn das Handwerk des Schreibens ist nichts, was einfach ist. Philosophisch, überheblich, unglücklich – mit diesem Dreiklang wäre er zu beschrieben.

* b) Christoph
Beruflich erfolgreich, glücklich vergeben – das wäre wohl das Bild von außen auf Christoph. Seine Ambitionen, Kampagnen für die großen Unternehmen wie Adidas oder Apple zu machen, hat sich zwar nicht erfüllt. Trotzdem scheint er „gut im Geschäft“ – aber unzufrieden mit dem Job. (Seinem Chef) zuzuhören fällt ihm schwer.
Mit seiner Freundin Julia lebt er zusammen, aber trotzdem wirkt Christoph einsam, ausgeschlossen. Denn Julia macht „ihr Ding“, lädt zu seinem Geburtstag ihre Freundinnen mit Partnern ein, verreist mit ihren Freundinnen – Chrstoph scheint immer wieder außen vor zu sein.

c) Leonie
Leonie ist jung, hübsch, intelligent – scheinbar eine Frau von der manche andere sagen würden: So möchte ich auch sein. Doch auch Leonie scheint unzufrieden. Sie lebt mit Annelie zusammen. Die ist zwar einerseits Leonies beste Freundin. Aber die beiden sind auch grundverschieden, Annelie zieht rastlos von Party zu Party, von Bett zu Bett, nimmt Drogen. Leonies Gedanken über ihre Mitbewohnerin sind nicht immer wirklich freundschaftlich. Leonie war mal mit Andreas zusammen. Doch als er auf Lesereise war, haben sie sich getrennt.


Die Handlung:
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Die Geschichte von Egoland ist verschachtelt, wird in Handlungssträngen der genannten Figuren erzählt.
Zunächst einmal: Michael Nast kennt Andreas Landwehr aus der gemeinsamen Jugendzeit. Landwehr begeht Selbstmord, Nast wird gebeten, Landwehrs Unterlagen zu sichten. Er stößt auf Recherchen zu einem Roman, der echte Menschen zum Gegenstand hat. Das wäre weiter noch nicht verwerflich. Doch Michael Nast erkennt, dass Landwehr Mitschnitte gemacht hat, dass er manipuliert hat, dass er moralische Grenzen übertreten hat. Hin- und hergerissen zwischen Interesse, vielleicht sogar Faszination und Ablehnung entschließt er sich, Landwehrs Werk fortzuschreiben. Dabei wird Landwehr Figur der Geschichte.
Der lebt in seinem schicken Appartment, sonnt sich einerseits im Erfolg seines letzten Werkes, tigert andererseits von Party zu Ausstelleungseröffnung zu Clubnacht, wirkt rastlos unglücklich.
Auch Leonie ist nicht glücklich: Sie hat mal wieder eine Verabredung: Das selbe Lokal, die selben Drinks. Der Mann schien ihr auf Instagram und Facebook so nah – und ist jetzt so gar nicht ihr Typ. Leonie findet es schwer, den richtigen Mann zu finden. Und auch die Wohngemeinschaft mit ihrer Freundin Annelie scheint nicht ideal. Denn die ist rastlos, will Ausgehen, Männer, Drogen, all das ist für Annelie total normal.
Und Christoph? Die dritte Figur der Geschichte hat zwar eine Beziehung. Au0enstehende würden das Paar Julia-Christoph wohl als glücklich bezeichnen. Julia kümmert sich auch um ihren Freund, organisiert seine Geburtstagsparty, denkt sich die geeigneten Geschenke aller Gäste für Christoph aus. Er spielt auch mit und tut so, als würde er sich freuen. Doch die Getreidemühle oder der Gutschein für eine Rauchentwöhnung sind für Christoph so gar kein Hit. Er fühlt sich unwohl im Job, hängt seinen alten Träumen von attraktiven Aufträgen von Großunternehmen nach und lässt Julia allein verreisen. Erst als er Andreas Landwehr kennenlernt, scheint sich das Blatt zu wenden. Langes nächtliches Philosophieren ist für ihn eine Abwechslung, genau wie mit Andreas auf Vernissagen und andere Feiern zu gehen. Auch dort fühlt sich Christoph zwar zunächst verloren. Doch dann wagt er sich bei einer Feier, am Karaoke-Singen teilzunehmen. Kurz darauf treffen er und Andreas auf Leonie und Annelie. Andreas ist noch immer in Leonie verliebt, sie hat keine Gefühle mehr für ihn. Leonie landet mit Christoph im Bett,. In der Nacht scheint er gelöst und glücklich, tags drauf plagt ihn wegen Julia ein schlechtes Gewissen. Denn Fremdgehen wollte Christoph nie. Andreas ahnt das nicht, will sich aber an seiner Ex für die Trennung rächen – und schläft mit Annelie. Als der tags drauf von Christoph und Leonie erfährt, plant Andreas sich zu rächen. Mehr, soll an dieser Stelle nicht verraten werden.


Themen
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* Glück
Ein Grund, warum ich #Egoland spannend finde, ist: Der Roman wirft einen Blick hinter die Fassade. Ich denke, viele von uns haben häufig den Reflex zu glauben: Die anderen sind glücklich, nur ich nicht. Das Paar mit Kind, die Kollegin mit ihrem langjährigen Freund, der coole Musiker – sie alle scheinen das perfekte Leben zu haben. Den kleinen und großen Kummer, die Selbstzweifel bekommt man häufig nicht mit. Woran liegt das? Teilweise ist ein Grund, dass jeder von uns sehr auf sich fixiert ist – ganz im Sinne von #Egoland als Egoist durch die Welt geht. Anderen zuzuhören, ihnen Rat zu geben, zu versuchen, für sie da zu sein, scheint nicht das oberste Prinzip zu sein. Und selbst diejenigen, die versuchen, sich in die Wünsche anderer hinein zu fühlen (so wie Julia bei Christoph wenn es um die Geburtstagsgeschenke geht) landen dann daneben.
Andererseits gibt es auch viele, die möglicherweise nicht wirklich an dem anderen/der anderen interessiert sind, so wie z.B. Julia und Annelie, die sich nicht wirklich zuzuhören scheinen.

*Beziehungen
Liebe und Glück hängen klarerweise miteinander. Doch das Beziehung nicht zwangsläufig = Glück ist, sieht man an Julia und Christoph – und auch an ihren Freunden. Der Freund einer Freundin ist fremdgegangen, sie weiß davon, beide sind weiterhin zusammen, doch sein Seitensprung steht immer zwischen ihnen.
Auch hier gilt schon das, was ich vorhin geschrieben habe: Es gibt zwar Versuche, den anderen zu verstehen, aber irgendwie gelingt das nicht, dadurch scheinen die Menschen in ihren Beziehungen nicht glücklich zu sein.
Leonie versucht da, ihren Weg zu gehen, versucht, gar nicht erst zu große Kompromisse zu machen, trennt sich lieber, wenn sie merkt, dass eine Beziehung nicht läuft bzw. lässt sich gar nicht erst auf eine Beziehung ein, wenn ihr der Mann nicht so wirklich gefällt.

* Freundschaft
Gibt es noch Freundschaft? Wenn man sich die verschiedenen „Konstellationen“ in #Egoland anschaut, dann wohl eher nicht. Annelie ist die beste Freundin von Leonie. Doch tatsächlich scheinen sie grundverschieden, es macht nicht den Eindruck, dass die beiden über alles reden können, einander wirklich vertrauen, einander komplett schätzen. Leonie schaut mit großer Skepsis auf den Lebenswandel von Annelie – und scheint nicht in der Lage, ihr ihre eigenen Sorgen zu erzählen.
Chrstoph wirkt, als habe er keine eigenen Freunde. Der Freundeskreis, den er mit Julia hat, sind eher ihre „Freundinnen“ und deren Partner. Und zu diesen Männern scheint Christoph keinen Draht.
In zwei Fällen könnte vielleicht von Freundschaft gesprochen werden. Am ehesten gilt das für Julia und ihre Freundinnen, mit denen sie scheinbar über alles redet und mit denen sie verreist.
Aus Christophs Sicht entwickelt sich schließlich auch eine Freundschaft mit Andreas. Beide können gut miteinander reden. Doch das ist nur seine Sicht. Da Christoph einen Fehler gemacht hat, nämlich mit Andreas Ex Leonie zu schlafen, sieht Andreas Christoph schnell nicht mehr als Freund sondern fast schon eher als Feind.

Fazit
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Ist #Egoland eine Zustandsbeschreibung unserer Gesellschaft?
Diese Frage ist sicher ein spannendes Moment des Romans? Sind die Menschen heutzutage beziehungsunfähig – in jeglicher Hinsicht? Sind wir alles Egoisten? Ist dieses Verhalten neu?
Mich hat #Egoland nach einigen Kapiten an David Coupland und seine Romane „Generation X“ und „Life after God“ erinnert. Auch bei Coupland ging es schon Anfang der 1990er darum, dass Menschen aneinander vorbei sehen und leben.
Klar, das Internet, die Art und Weise, wie z.B. Facebook „Freunschaft“ vervielfacht hat, indem jeder von uns jeden, den er irgendwann mal irgendwo auch nur fünf Sekunden gesehen hat als „Freund“ in seine Liste mit aufnehmen kann, hat die Welt verändert. Doch die Rastlosigkeit, die Nast und Coupland beschreiben, ist recht ähnlich. Es geht bei beiden um die Frage: Können wir uns auf andere einlassen?
„Aber er wird ziemlich bald kommen, der gewisse Moment, in dem der Andere sich in einen schmierigen Fremden verwandelt und ich es nicht fassen kann, was für eine Niete ich bin, ihm überhaupt auf den Leim gegangen zu sein.“ heißt es bei Coupland.
Stolz, gekränkte Eitelkeit, aber auch Menschen, die sich und nur sich sehen, das ist sicher ein Kennzeichen unserer Zeit – aber eins, das es so und ähnlich auch schon vorher gab.
Das Spannende an #Egoland ist der Blick hinter die Kulissen. Michael Nast zeichnet nicht nur oberflächliche Figuren, er geht auf die Ebene, die man normalerweise bei seinen Nachbarn, Kollegen, Bekannten, mitunter auch bei seinen Freunden nicht mitbekommt. Neben der Ichbezogenheit stehen die Selbstzweifel, stehen Angst und Sorge. Das ist es, was den Roman lesenswert macht. Nast wartet mit einigen Wendungen auf, auch die sorgen für Spannung. Von mir gibt es daher fürs #Egoland (knappe) fünf Sterne und eine Empfehlung.