Der eigene Stempel

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„Ich hörte ihr immer brav zu, ich sah schon mit drei Jahren alt aus. Die drei Phasen des Bausparvertrages (Sparphase, Zuteilungsphase, Darlehensphase) hielt ich für einen Kinderreim. Die Berechnung der Bewertungszahl beherrschte ich im Schlaf. Als ich in die Volksschule kam, war ich bereits Professor für Inflationstheorie.“

Der Autor (und Sohn) Wolf Haas begleitet seine demente Mutter während ihrer letzten drei Lebenstage. In dieser Zeit erzählt sie aus ihrem Leben und lässt damit auch ihn sich erinnern: an seine Kindheit, an Gegenstände und Gespräche, an den Wunsch von Eigentum. Denn das war stets ihr Traum, danach strebte sie ihr ganzes Leben lang und richtete es danach aus: Sparen, sparen, sparen für den Traum vom eigenen Heim. Und mit dem Tod erfüllt sich ihr Wunsch: Die letzten zwei Quadratmeter gehören ihr, sind ihr Eigentum. Sogar mit (Absenk)Lift.

Wolf Haas schreibt so, wie ihm der (österreichische) Schnabel gewachsen ist und dabei bleibt kein Auge trocken: Manchmal geht sein Schreiben ans Herz, manchmal ist es urkomisch. Vieles wird von ihm wiederholt, drei-, viermal wiedergekäut, aufs Neue werden Situationen noch einmal eindringlicher von ihm beschrieben, bis sie nachhallen und sich als Erinnerungen festsetzen. Wie ein Mantra über das Sparen oder eine Litanei über das Leben, stets mit einem Augenzwinkern, aber nie langweilig. Haas hat seiner Geschichte (und dem Cover) buchstäblich seinen Stempel aufgedrückt – das ist sein „Eigentum“, das sind seine privaten Gedanken. Ich bin aber froh, dass er sie mit uns geteilt hat. Leseempfehlung!