Eine sprachliche Freude

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viv29 Avatar

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„Eigentum“ hat mich von der ersten Seite an aufgrund des wundervollen Umgangs mit Sprache gepackt. Wolf Haas teilt seine Gedanken und Beobachtungen mit einem herrlich trockenen Humor mit, ohne daß die Sensibilität des Themas darunter leidet. Wir begleiten nämlich Wolf Haas‘ Mutter auf ihren letzten beiden Lebenstagen und von dort aus durch Teile ihres Lebens. Es ist eine harte, entbehrungs- und enttäuschungsreiche Lebensgeschichte, welche die Mutter laut Aussage eine Dorfbewohnerin zu einer „schwierigen Person“ macht, während ihr eigener Sohn sie als „verrückt“ bezeichnet. Die Geschichte wird uns in allerlei Zeitsprüngen erzählt, die ausgezeichnet miteinander verwoben sind.
Die Leser sitzen mit dem Autor neben seiner Mutter, gehen mit ihm an Orte seiner und ihrer Vergangenheit, haben teil an seinen gelegentlich mäandernden Überlegungen. Diese resultieren in manchmal sprunghaften Themenwechseln, die interessant zu lesen sind und dafür sorgen, daß der Text wie eine Wundertüte wirkt, bei der man nie weiß, was als nächstes kommt. Es ist vor allem diese Sprachvirtuosität, welche das Buch so überzeugend macht, denn auch wenn die Lebensgeschichte der Mutter nicht uninteressant ist, so ist sie keineswegs so außergewöhnlich, daß sie an sich schon spannende Lektüre ausmacht. Das merkt man insbesondere in den Passagen, in denen Haas‘ Mutter direkt erzählt, wir also ihre eigenen Worte lesen. Es bringt eine persönliche Note in das Buch, die Stimme der Frau zu lesen, von welcher das Buch handelt, aber hinsichtlich des Lesevergnügens fielen diese Passagen vom Stil und den detailreich berichteten Nebensächlichkeiten her ziemlich ab.
Auch der Autor selbst verlor sich oft in weniger interessanten Details und Überlegungen, setzt zudem gerne Wiederholungen als Stilmittel ein (worauf er im Text selbst Bezug nimmt). Letztere schwächten den Text für mich häufig. Auch fehlte mir in der Geschichte ein wenig die spätere Entwicklung der Mutter, hier wird vieles angedeutet und hinterläßt Fragen.
Das Leitthema „Eigentum“, welchem die im Jahr der Hyperinflation Geborene jahrzehntelang trotz harter Arbeit erfolglos hinterherrennt, um schließlich resigniert aufzugeben und das so ersehnte Stück Land erst mit der eigenen Grabstelle zu erlangen, ist ausgezeichnet gewählt und zeigt die Tragik dieses Lebens. Es liegt eine Melancholie über dem Buch, immer wieder kurz aufgehellt von dem lakonischen Humor. Trotz mancher langatmiger Passagen ist „Eigentum“ eine überzeugende und erfreuliche Leseerfahrung, die einen sprachlich und vom Aufbau her elegant konzipierten Einblick in das Leben der Mutter und die Gedanken des Sohnes bietet.