Kann man vom Leben schreiben?

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stina23 Avatar

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Ja, Wolf Haas kann!
In seinem neuesten Buch schreibt er über die letzten Tage seiner Mutter. Sie lebt in einem Altersheim, er verbringt viel Zeit mit ihr und es ist abzusehen, dass der Abschied naht. Wieviel Autobiographisches und wieviel Fiktion in seinem Werk stecken, bleibt unerklärt.
Schon bei der Beschreibung ihrer kleinen, gebeugten Gestalt, die sich mit Mühe im Rollstuhl, der an den Esstisch geschoben wurde, versucht aufzurichten, wurde ich unweigerlich an meine Großmutter erinnert. Obwohl sie ein ganz anderer Typ Mensch als die Mar. Haas war, gleichen sich ihre Erzählstile. Die Wiederholungen, das sich während des erzählens-doch-wieder-an Details-Erinnern, die Berichte über die Entbehrungen während des Kriegs und danach,… sind mit sehr vertraut. Marianne Haas ist getrieben, Eigentum zu erwerben, Grund, der ihr gehört, den ihr niemand wegnehmen kann. Dies gelingt ihr schlussendlich erst bei der Beisetzung im Familiengrab. So tragisch einiges in diesem Buch auch ist, der Autor schreibt darüber trocken aber nicht unemotional. Auf mich wirkte das richtiggehend wohltuend.
Haas springt in seinem Werk zwischen dem Abschiednehmen und den Erinnerungen der Mutter, die in ihren jungen Jahren ein sehr ereignisreiches Leben geführt hat und eine sehr eigenwillige Person war. Vor allem eines wird dabei klar. Er liebt seine Mutter. Er beschreibt sie und all ihre Eigenschaften mit Humor, einer liebevollen Bissigkeit, einer Schonungslosigkeit und immer mit einer tiefen Verbundenheit.
Die Passagen, in denen sich die Mutter erinnert, sind mit vielen österreichischen Dialektausdrücken gespickt. Das macht die Erzählungen sehr authentisch. Besonders schön finde ich, dass sich am Ende der Kreis der Geschichte durch einige Sätze über eine Alltäglichkeit schließt.
Für mich fühlte es sich an, als ob ich 157 Seiten lang in Wolf Haas‘ Hirn und Herz zu Gast war. Es war ein sehr schöner und auch aufschlussreicher Besuch. Danke, gerne wieder.