Liebevoll ironisches Porträt

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alasca Avatar

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Wolf Haas´ Mutter hat die Wirtschaftskrise, den Krieg und die Nachkriegszeit miterlebt. In ihrem Geburtsjahr, 1923, verliert der Großvater aufgrund der Inflation den angestammten Hof, die Familie verarmt. Das brennt sich ein – ihr Lebenstraum, der nie in Erfüllung gehen wird, ist der Besitz von eigenem Grund. Auch ihre sonstigen Ziele wird sie nicht erreichen, die Geschichte will es anders.

Haas hat es eilig mit der Niederschrift seiner Erinnerungen – nur noch zwei Tage wird seine Mutter leben, und er will sie noch Einiges fragen. Er tut so, als wolle er sich durch das Schreiben dieses Romans von den Erinnerungen seiner Mutter befreien – Erinnerungen, die auf ihn übergegangen sind, während sie seiner Mutter allmählich abhanden kommen. Das potentiell Fiktive der Erinnerung, die sich in erzählter Wiederholung verfestigt und zum Lebensnarrativ wird, ist eins der Themen dieses Romans. Die Erinnerungen von Haas´ Mutter, so empfindet Haas es, sind dann am authentischsten, wenn sie ihr selbst unklar sind und beim Erzählen korrigiert, ja ertastet werden müssen. Haas wäre nicht Haas, wäre nicht auch dieses Erinnerungsprotokoll einer alten Frau kurz vor ihrem Tod gnadenlos originell. Er ist sarkastisch, ohne despektierlich zu sein. Er ist philosophisch, ohne sentenziös zu sein. Ganz nebenbei ersteht eine Nachkriegsbiographie, die bis in die Gegenwart von den Kriegsereignissen geprägt war.

Haas lässt seine Mutter in wörtlicher Rede erzählen und bildet mit minimalen Mitteln ihre Mundart ab. Er verklärt nicht, er klagt nicht an, er kommentiert, kommt vom Hundertsten ins Tausendste und lässt das liebevolle Bild eines sperrigen Charakters entstehen. Zeit ihres Lebens fühlt sie sich ausgebeutet: „Nichts als arbeiten, arbeiten, arbeiten.“ Typisch für ihren Erzählstil ist die „rhetorische Triade“. Darin ist sie Meisterin. „Den ganzen Tag nur waschen, putzen, bügeln. Nichts wie kochen, stricken, nähen den ganzen Tag.“ Dazu kommen fast lyrische Wiederholungen, eine sprachliche Kreisform.

Die Mutter konnte viel, hat sich Mathematik, Englisch und Französisch angeeignet – nur mit Menschen umgehen, das konnte sie nicht. „Deine Mutter war ein schwieriger Mensch. Sie hat fast jeden im Dorf beleidigt. Die Nachbarin hat sie schwer beleidigt. Auch mich hat sie zweimal beleidigt“, sagt die Gastwirtin des Dorfes über Marianne Haas. Ein Gespräch mit der Mutter mündet unweigerlich in eine Klage über „die Leute“. „Die Leute als teuflischer Massensingular, als vielköpfiges Ungeheuer“, sinniert Haas. Der ständige Überlebenskampf hat die Mutter wunderlich gemacht. Ihre Fürsorglichkeit den Söhnen gegenüber war leidenschaftlich und blieb doch im Elementaren stecken – Hauptsache, satt und gesund.

Nicht zuletzt ist „Eigentum“ eine Übung in existenzieller Philosophie. Die Mutter, die es trotz sehnlichem Wunsch und Bemühen in ihrem Leben nie zu Wohneigentum gebracht hat, weil ihrem Anspartempo stets die Quadratmeterpreise davonzogen, bezieht ihre erste eigene Immobilie auf dem Friedhof. Weswegen sie auch auf keinen Fall verbrannt werden wollte. Ich fand Haas´ Einfühlung in die Psyche der Mutter erstaunlich.

Nebenbei bürstet Haas populäre Haltungen gegen den Strich. Seine Apologie der floskelhaften Äußerung („Mein Beileid.“ „Danke.“) und seine Schmähung des „überzüchteten Inhaltismus“ sind das Witzigste, was ich seit langem gelesen habe. Der ganze Roman ist voll mit solchen Perlen. Haas eben.

Fazit: Dieses schmale Buch ist ein wahres Schatzkästchen – historisch, menschlich und sprachlich. Es ist traurig, komisch und tragisch – um noch einmal Marianne Haas´ liebste Sprachfigur anzuwenden. Unbedingt lesen.