Der Colson Whitehead der 60er Jahre

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gaia Avatar

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57 Jahre nach dem Erscheinen dieses Meisterwerks haben wir nun auch die Möglichkeit den Debütroman von - dem bei uns noch vollkommen unbekannten - William Melvin Kelley auf Deutsch lesen zu können und dürfen.
Der Roman erzählt aus verschiedenen Perspektiven ein einschneidendes Ereignis, welches zur massenhaften Migration von schwarzen Amerikanern aus einem fiktiven Südstaat nach Norden führt. Ein schwarzer Farmer versalzt sein Ackerland, zerstört seine Habseligkeiten und brennt sein Haus nieder, um dann den Staat zu verlassen. Ihm folgen alle anderen Schwarzen und nun leitet Kelley aus den Perspektiven verschiedener Weißer her, warum es dazu gekommen sein könnte. Dabei handelt es sich um private einblicke, die natürlich allgemeinere und weitreichendere Interpretationen zulassen.

Der Roman entwickelt einen Sog, wie ich ihn bisher nur von Colson Whitehead kenne. Ob Kelley ein Vorbild für Whitehead war, kann ich nicht beurteilen, beide treiben jedoch den Plot ähnlich voran, indem sie zunächst von einem einzigen Ereignis ausgehen, welches zunächst unverständlich und schwer nachvollziehbar erscheint. Erst zum Ende hin wird durch immer mehr Indizien das ganze (oder vielleicht auch nie ganze) Bild für den leser offenbart. Diese Art des Schreibens beindruckt mich sehr und führt auch zu einer großen Beageisterung für dieses kluge, zeitlose Buch.

Ein wenig zu übertrieben finde ich das Vor- und das Nachwort zusammen. Beide ordnen das vorliegende Werk des Autors aus unterschiedlichen Sichten für den Leser ein. Eins der beiden hätte aber auch ausgereicht. Da das Nachwort von der Tochter Kelleys stammt, würde ich eher das Vorwort weglassen, sodass der Leser sofort und ungehindert mit diesem hervorragenden Roman starten kann.

Dieses Buch empfehle ich dringend allen Fans des aktuell verhältnismäßig erfolgreichen Colson Whitehead. Ihr werdet gefangen und begeistert sein.