Ein starker Perspektivenwechsel

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In einem nicht genannten Bundesstaat im Süden der USA verlassen von einem auf den anderen Tag in den späten 50er die Afroamerikaner ihre Häuser und Wohnungen und ziehen gemeinsam gen Norden. Angefangen hat dieser Exodus auf der Farm von Caliban Tucker. Er hat zuvor sein Land unfruchtbar gemacht und sein Haus zerstört. Zurück bleibt eine verwirrte und ratlose weiße Einwohnerschaft, die nicht damit klar kommt, dass diejenigen, die bisher ihre Straßen fegten und am Rande ihrer Gesellschaft ihren Platz hatten, ihr Schicksal nun offensichtlich selbst in die Hand genommen haben.
Dies ist der Rahmen, in dem der Autor William Melvin Kelley (1937 - 2017) - ein Vertreter des Black Arts Movements - die Familiengeschichte der Willsons erzählt, der weißen Familie, bei der der erwähnte Tucker zunächst arbeitete und später sein kleines Farmland kaufte. Kelley nähert sich dieser Familiengeschichte nicht chronologisch sondern aus verschiedenen Perspektiven in ebenso unterschiedlichen Erzählformen.
Dabei ist sein Roman an sich schon ein großer Perspektivenwechsel und auch ein Experiment, das der Frage nachgeht, was eigentlich passiert, wenn plötzlich die Grundlage dessen, was ein Gesellschaftssystem ausmacht, wegbricht. Die Rassentrennung wird in der Geschichte der Familien Tucker und Willson durchaus auch einmal infrage gestellt, aber es bleibt nur bei kleinen Schritten, bis der große Aufbruch kommt.
Das Alter - der Roman erschien im Amerikanischen zuerst 1962 - merkt man dem Text in keiner Weise an. Es ist auch kein historischer Südstaatenroman. Durch das Experimentelle und die Fiktion des Bundesstaates, aus dem die Afroamerikaner verschwinden, wirkt Kelleys Buch zeitlos und bleibt aktuell, den jede Gesellschaft findet sich schnell mit dem ab, was gegeben scheint.
Ein starker Text, dem zu wünschen ist, dass er nachträglich noch die Aufmerksamkeit erhält, die er verdient hat.