Um phantastische Elemente angereicherte Dystopie mit gelungenen Kampfszenen und wenig überzeugender Figurenzeichnung

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alekto Avatar

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Ein Mann wacht auf einem Boot auf, das sich inmitten des Ozeans befindet. Da er nur das offene Meer sieht und das Schiff aus der Ferne gelenkt und gesteuert wird, weiß er nicht, wo er ist. Auch kann er sich nicht erinnern, wer er ist. Seine Vergangenheit hat er vergessen, ebenso wie seinen Namen. Doch nachdem er von einem Geräusch geweckt worden ist, das ihn aus dem Schlaf gerissen hat, sucht er dessen Ursache und muss eine grausige Entdeckung an Bord des Schiffs machen.

Mehr zum Inhalt von “Ein Fluss so rot und schwarz” zu sagen, würde nur die ersten Twists in dieser von Anthony Ryan erzählten Geschichte verraten. Im weiteren Verlauf nennt der zu Beginn namenlose Mann sich Huxley, was wohl nicht sein richtiger Name ist, den er jedoch eintätowiert auf seinem Arm vorgefunden hat. Auf dem Boot ist er nicht allein, da mit ihm fünf andere Personen reisen. Jeder von ihnen kennt weder ihre Route bzw. ihr Ziel noch den Zweck ihrer Mission, die erst nach und nach enthüllt wird.
Die Gruppe, die aus diesen sechs besteht, stellt die zentralen Figuren dieses Romans dar, der aus Sicht von Huxley geschildert wird. Indem sie sich weder an ihre Vergangenheit noch an ihre Persönlichkeit erinnern können, haben diese Charaktere seltsam distanziert auf mich gewirkt. So ist es mir schwer gefallen einen Zugang zu ihnen zu finden und deren Handlungen wie Entscheidungen sind oft schwer nachvollziehbar für mich geblieben, sogar wenn sie diese ausdiskutiert oder überdacht haben. Damit ist mit dem an sich interessanten Ausgangssetting, das Anthony Ryan für “Ein Fluss so rot und schwarz” gefunden hat, die Schwäche verbunden gewesen, die diverse B-Horrorfilme prägt. Denn im Horrorgenre, wenn dieses zumindest Züge von einem Slasher hat oder damit verwandt ist, sofern dies keine billig von der Stange produzierte Massenware darstellen soll, ist eine längere Introduktion zwingend erforderlich, um mir als Zuschauer oder Leser die wesentlichen Figuren näher zu bringen. Nur wenn ich diese Charaktere besser kennengelernt habe, kann ich im weiteren Verlauf mitfiebern und bangen, welche davon es schaffen werden oder auch nicht. Durch den für seinen Roman gewählten Ausgangspunkt versagt sich Anthony Ryan diesem Konzept und so wird Spannung in “Ein Fluss so rot und schwarz” ausschließlich aus den gelungen geschilderten Kampf-Szenen erzeugt, die durch die phantastischen Elemente, um die diese angereichert sind, einen besonderen Touch erhalten. Darüber hinaus räumt der Autor der Auflösung des Rätsels, was denn die Aufgabe ist, die diesen sechs zugedacht wurde und dazu geführt hat, dass sie auf dem Boot gelandet sind, in seinem Roman viel Zeit und Raum ein.

Indem der Autor der Versuchung widerstanden hat, “Ein Fluss so rot und schwarz” anders als die von ihm verfassten epischen High-Fantasy-Reihen als ausufernden Roman anzulegen, hat sich dessen Lektüre für mich kurzweilig gestaltet. Denn das Buch, das keine dreihundert Seiten lang ist, habe ich in zwei Tagen gelesen, obwohl ich zugeben muss, dass sich zwischendrin bei mir Längen eingeschlichen haben. Das ist häufiger dann der Fall gewesen, wenn die Gruppe zwischen den einzelnen Stationen, auf der sie während ihrer Reise verschiedene Aufgaben zu erledigen hat, an Bord verbleibt und versucht dem Rätsel um ihre Mission auf den Grund zu gehen oder sich an die eigene Vergangenheit zu erinnern.

Dabei hat Anthony Ryan eine interessante Hintergrundgeschichte ersonnen, die im Verlauf des Romans nach und nach enthüllt wird und letztlich zu der in diesem Roman erzählten Handlung geführt hat, bei der die sechs Ausgewählten auf dem Boot gelandet sind. Meiner Ansicht hätten sich diese in der Vergangenheit von “Ein Fluss so rot und schwarz” liegenden Ereignisse eher für einen spannenden Roman angeboten als das Setting, für das der Autor sich entschieden hat. Denn das hätte ihm die Gelegenheit geboten, ganz nah dran am Leid der von der Katastrophe Betroffenen und den erdrückenden Verlusten, die sie hinnehmen mussten, zu sein, um deren Geschichte zu erzählen und die Entwicklung der sich daran anschließenden Ereignisse zu schildern. Dabei hätte Spannung dadurch aufgebaut werden können, dass Ryan wiedergegeben hätte, wie das Grauen schleichend in ihren Alltag Einzug gehalten hätte, wenn ihr gewohntes Leben vor die Hunde gegangen wäre und allmählich durch die Szenerie ersetzt worden wäre, durch die die sechs auf ihrem Boot zu reisen haben. Das deutet sich in einer starken Szene an, in der Huxley einen Laptop aus dieser Zeit findet. Darauf sind Clips in Form von einem Videotagebuch gespeichert, das diese Vergangenheit dokumentiert. Obgleich Ryan das nur kurz anreisst und dabei viel zu schnell abhandelt, übertrifft die emotionale Intensität, die dabei erzeugt wird, doch alles, was der Gruppe auf dem Boot sonst widerfährt.

Auch hätte sich die von Ryan für “Ein Fluss so rot und schwarz” ersonnene Ausgangssituation weit eher für einen abgründigen Horror-Roman, der in seiner Erzählweise durch einen düsteren Tonfall unterstrichen wird, angeboten als für die eher phantastischen Elemente, in denen dieser geschildert wird. Dass die gewählte Umsetzung nicht etwa einem mangelnden Talent des Autors geschuldet ist, zeigt sich in einer unheimlichen Szene, in deren Mittelpunkt eine Variante der Venusfliegenfalle steht. Weitere Szenen dieser Art hätten dem Roman gut getan, ebenso wie wenn Ryan seine Geschichte konsequent in diesem Ton erzählt hätte. In diesem Zusammenhang hätte der Autor besser auch auf den Humor, den er Huxley zugestanden hat, verzichtet. Denn dessen Lachanfälle, die sich wohl als Ausdruck von Hysterie verstehen lassen, mit der Huxley auf ihn überfordernde Situationen reagiert hat, haben oft eher unpassend gewirkt.
“Ein Fluss so rot und schwarz” wird zwar in sich schlüssig zu Ende erzählt, wenn nicht nur die finale Mission der Gruppe, sondern auch die Vergangenheit, die dazu geführt hat, nach und nach enthüllt wird und dabei erstaunlich viele Rätsel aufgelöst und damit verbundene Fragen beantwortet werden. Dabei habe ich jedoch die Rolle eines zentralen Antagonisten, der wiederholt auftaucht, als wenig stimmig empfunden. Damit die verschiedenen Funktionen, die diesem zugedacht wurden, nur durch eine einzige Figur ausgefüllt werden konnten, hat diese im Verlauf des Romans in einer zumindest für mich nicht nachvollziehbaren Weise ihren Charakter resp. Hintergrund wiederholt zu ändern. Das ließ die Figurenzeichnung inkonsistent und letztlich wenig plausibel auf mich wirken. An dieser Stelle wäre es wohl sinnvoller gewesen, zusätzliche Antagonisten einzuführen, statt diese an sich unterschiedlichen Rollen ausschließlich in einer einzigen Figur zu bündeln, die dafür dann gegensätzliche Aspekte in sich zu vereinen hatte.

Anthony Ryan, der aus seinem an sich spannenden Setting weit mehr hätte herausholen können, verschenkt da leider viel Potenzial, wenn er seinen Roman nicht konsequent im Horror-Genre anlegt und in einem zur Geschichte passenden, abgründig düsteren Tonfall erzählt. Darüber hinaus hätte sich angeboten, andere Charaktere in den Mittelpunkt eines Romans, der in der vom Autor ersonnenen Dystopie angesiedelt ist, zu stellen, um aus deren Sicht das von ihm entworfene Setting zu beschreiben und daraus eine Geschichte zu entwickeln, die auch in der dabei aufgebauten emotionalen Intensität hätte überzeugen können. Das hätte zudem eine interessantere, zumindest jedoch ambivalente Figurenzeichnung ermöglicht, wenn die im Fokus stehenden Personen sich an ihre Vergangenheit hätten erinnern können und deren Veränderung in ihrer Entwicklung begleitet worden wäre. “Ein Fluss so rot und schwarz” hätte dadurch gewinnen können, dass sich das Buch vom Boot-Setting entfernt und stattdessen mehr an “The Girl with All the Gifts” von M. R. Carey oder vergleichbaren Romanen orientiert hätte.