Ein weiblicher Text

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"Ein Geist in der Kehle" ist ein Roman, in dem in der äußeren Handlung gar nicht viel passiert: Eine Mutter schafft sich kleine Freiräume, um zwischen der täglich wiederkehrenden Hausarbeit und Kinderversorgung das alte irische Klagelied Caoineadh Airt Uí Laoghaire zu übersetzen und mehr über dessen Verfasserin Eibhlín Dubh Ní Chonaill und ihr Leben herauszufinden.

Auf der tieferen Ebene entsteht daraus ein faszinierend vielschichtiges Bild, das viele verschiedene Themen berührt.
Die Erzählerin gibt ein ungeschöntes, sehr ehrliches Bild der Mutterschaft, die Erfüllung und Glück verspricht, aber, gerade mit kleinen Kindern, auch Selbstaufgabe und Aufopferung bedeutet und aus einer Reihe von immer gleichen Tagen mit immer gleichen Aufgaben besteht, in der man sich leicht verlieren kann.

Die Suche der Protagonistin nach dem Leben von Eibhlín Dubh in männlichen Texten, vor allem der männlichen Geschichtsschreibung, in der Frauen über Jahrhunderte höchstens am Rande erwähnt wurden, als Mutter oder Schwester eine Nebenrolle spielten, zeigt wie wenig die Worte und die Sicht von Frauen, die eher wörtlich weitergegeben werden, in der Geschichte Beachtung finden. Genau das macht das Caoineadh so faszinierend, weil dieses Gedicht selbst erst wieder aus den einzelnen Strophen, an die sich irgendwo noch irgendwer erinnern konnte, und die sich zwischendurch selbst verändert hatten, zusammengetragen und rekonstruiert werden musste - und doch hat es durch die Zeit hindurch Bestand. Auch das was über die Dichterin im 18. Jahrhundert herausgefunden werden kann, ist kulturgeschichtlich sehr interessant und bildet ein spannendes, wenn auch tragisches Leben ab.

Nicht nur dem Gedicht selbst und den großen bewegenden Themen von Liebe, Tod, Verlust und Schmerz verleiht Autorin Doireann Ní Ghríofa eine unglaubliche Poesie, sondern auch all den kleinen Alltäglichkeiten, den alltäglichen Kleinigkeiten.

Den Hunger der Erzählerin, den Spuren von Gedicht und Verfasserin zu folgen, konnte ich sehr gut nachvollziehen, mir ihr selbst konnte ich mich allerdings leider nicht gleichermaßen identifizieren. Sie und ihre eigene Familie bleiben gegenüber der historischen Familie, der sie sich annähert, seltsam farblos und abwesend, was jedoch auch davon zeugt, wie sehr sie sich aufgibt, um das Leben von Eibhlín Dubh weiterzugeben.

Eine faszinierende Lektüre mit wunderschöner Sprache und vielen Denkanstößen.