Ihre Träume erben

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owenmeany Avatar

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Eine junge Mutter erforscht wie besessen die Ursprünge und Personen eines Gedichts, das sie schon seit ihrer Kindheit begleitet. Wie schafft sie das, wo sie im Grunde mit ihren häuslichen Pflichten ausgelastet ist, die sie mit Hilfe von To-do-Listen beherzt und mit staunenswertem Gleichmut in Angriff nimmt? Kein Wort der Klage kommt über ihre Lippen, mit unendlicher Liebe wendet sie sich Tag und Nacht ihrem Nachwuchs zu, aber auch ihrem Ehemann, denen sie allen keinen Namen verleiht.

Ein Leitmotiv ist dabei das Thema Stillen im Sinne von Leben Spenden. Bei drei Kindern gibt sie ihre problemlos fließende Muttermilch ab für Frühgeborene. Dann ereilt sie das gleiche Schicksal nach einem Notkaiserschnitt. Die medizinischen Fakten beschreibt sie akribisch, ihre psychische Verfassung und den Betrieb auf der Neugeborenenstation. Wer das noch nicht selbst erlebt hat, kann sich das gar nicht vorstellen.

Viellicht hilft ihr dabei aber auch die intensive Beschäftigung mit der früh verwitweten Adligen aus dem 18. Jahrhundert, von der das Gedicht handelt, und die Identifizierung mit ihr lenkt die Ich-Erzählerin von ihrem Alltag ab und überhöht diesen.

Es entsteht dabei ein Buch über das weibliche Leben in der Vergangenheit und Gegenwart, über emotionale Betroffenheit durch Literatur und über die weibliche Psyche allgemein. Sie reflektiert ja auch selbst die Gründe für ihre Obsession: sie will die Frau als Hauptakteurin mit all ihren persönlichen Eigenschaften beleuchten. Sie geht ihren Spuren nach, indem sie die Schauplätze aufsucht, stellt literaturwissenschaftliche Betrachtungen über Gedichte von Frauen an, die oft nur mündlich überliefert wurden, weil man die Autorinnenschaft nicht anerkannte, und betreibt Quellenforschung in allen möglichen Bibliotheken und im Internet. "Das ist ein weiblicher Text."

Zwei Sphären prallen dabei aufeinander und vermischen sich: die des alltäglichen Lebens und die geistig-wissenschaftliche.

Dieses hochliterarische Werk der Autorin, die sich schon mit ihrer Lyrik einen Namen machte, hat mich bereichert, aber auch stark gefordert. Es beginnt schon mit den gälischen Namen und Begriffen, bei denen mich eine Aussprachehilfe unterstützt hätte. Unterhaltungsliteratur ist das nicht, aber wenn man Verständnis aufbringt für Frauenbewegte, die trotzdem in ihrer Familie aufgehen, und die Geschichte Irlands, wird man hier eine Erweiterung des Horizonts erfahren.