Wie in einem Fluß...

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an_der_see Avatar

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Kennt ihr diese Bücher, die einen einerseits faszinierten und fesselten, die einen andererseits aber auch etwas irritiert zurück lassen? „Ein Geist in der Kehle“ von Doireann Ni Ghriofa gehört für mich zu diesen Büchern. Wobei es hauptsächlich das Ende dieses Romans ist, der mich fragend zurück ließ.
Als Kind begegnet die Protagonistin das erste Mal dem „Caoineadh Airt Ui Laoghaire“ der Dichterin Eibhlin Dubh Ni Chonaill, das selbige nach dem Tod ihres Mannes ungefähr im Jahre 1770 schrieb. Seit ihrer Kindheit sind die Verse der Dichterin ein Teil der Protagonistin. Die wir durch eine Zeit ihrer Kindheit, jungen und späteren Erwachsenenalter begleiten. Wir lernen sie als Mutter dreier Kinder kennen, es kommt ein viertes dazu. Sie kümmert sich um den Haushalt, die Kinder, fertigt To do Listen an, einzig um das Gefühl zu erleben, etwas geschafft zu haben, etwas abhaken zu können. Sie ist schwanger. Sie stillt. Sie pumpt Milch ab, die sie als Spende für Kinder auf Säuglingsstationen zur Verfügung stellt. Auf eine solche wird auch ihre neugeborene Tochter kommen. Jede freie Sekunde beschäftigt sich die Protagonistin mit Eiblin Dubd Ni Chonaill. Liest ihre Verse immer und immer wieder und beginnt das Leben der Dichterin zu verfolgen. Aus männlichen Quellen heraus. Denn die weibliche Spur der Dichterin verliert sich schon bald, nachdem sie das Gedicht geschrieben hatte. Wie viele weibliche Texte wohl in den letzten Jahrhunderten verschwanden, wie viele weibliche Leben vergessen? Diese Fragen begleiteten mich über das ganze Buch und stimmten mich traurig. Es fühlte sich wie ausgelöscht an und ich bewundere die Protagonistin für ihre Ausdauer immer weiter zu forschen, neue Wege zu finden, sich mit neuen männlichen Lebenslinien zu beschäftigen um auch nur ein winziges unbekanntes Detail aus dem Leben von Eiblin zu erfahren. Als wenn sich die Protagonistin damit selber am Leben gehalten hat, als wenn das Nachspüren von Eiblin´s Leben, der Protagonistin die Kraft gegeben hat, mit ihrer durch die Mutterschaft einhergehenden Erschöpfung existieren zu können.
Es gibt Andeutungen von Lebensverzweiflung im Leben der Protagonistin, von Phasen der Selbstfindung und des sich selbst Verlierens, von Aufopferung. Und immer wieder der Satz „Dies ist ein weiblicher Text“. Ein weiblicher Text der mir sehr nahe ging, der an etwas Elementarem rüttelt. Ich fühlte mich beim Lesen wie vernebelt von den Gedanken der Autorin, dem Leben der Protagonistin, dem Hier und Jetzt, der Geschichte, der Vergangenheit, wie in einem Fluss von Zeit, wie mit einer Nabelschnur verbunden. Ich habe selten einen so gefühlvollen Text gelesen, von Poesie durchzogen, ohne dass er selber an ein Gedicht erinnert. Es ist ein ruhiger und sehr aufwühlender Text zugleich. So viel Vergänglichkeit in diesem Text, so viel Nähe und Verbundenheit, Trauer, Zurücklassen, Hoffnung und immer weiter machen.
Dann kam das Ende. Das auch mit einem Ende im Leben der Protagonistin verbunden ist. Und mit einem Anfang. Ausgelöst durch eine Entscheidung eines Mannes. Ihres Mannes. Ich klappte das Buch nach der letzten Zeile zusammen und spürte einen großen Redebedarf, der sich auch jetzt noch nicht verflüchtigt hat.
„Ein Geist in der Kehle“ hat mich tief berührt, ich habe die Lektüre als eine große Bereicherung empfunden. Es ist ein Buch dem ich viele interessierte Menschen wünsche, bei dem ich hoffe, dass es nicht unter den Massen von Neuerscheinungen untergehen wird. Für mich ist es ein sehr besonderes Buch.