Wunderschöner und spannender Spaziergang durch Triest

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kleine hexe Avatar

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Das spannungsgeladene Titelbild: ein einsamer Spaziergänger in einer nächtlichen Gasse einer Altstadt lässt ein Gefühl der drohenden Gefahr aufkommen.
Das Buch selber hat mir den Eindruck eines Tanzes auf dem Vulkan vermittelt. Es sind die Tage kurz vor und kurz nach dem 28. Juni 2014, als in Sarajevo ein serbischer Student das Kronprinzenpaar der Habsburger Monarchie erschießt. Binnen kürzester Zeit hat das zum Ausbruch des ersten Weltkriegs geführt. Parallelen zu unserer Zeit im Hier und Jetzt, mit dem Konflikt zwischen der Ukraine und Russland sind leider höchst evident. Damals, 1914 war der Balkan das Pulverfass Europas, jetzt, 2022 spielt Osteuropa leider diese traurige Rolle.
Wie sorglos das Leben im Nachhinein erscheint. Ein kleiner Mord oder doch Selbstmord, Männer mit dicken rauschenden Backenbärten nach Kaiser Art oder dünnen Oberlippenbärten, gezwirbelt nach „neumodischer“ Art, Fahrradsport der noch in den Anfängen steckte und in manchen Städten strikt verboten weil unnatürlich war, Vater - Sohn Konflikt, kleine Schwester die zum ersten Mal verliebt ist, Gaetano der seine erste unglückliche Liebe überwinden muss, Sonne über einer schönen alten Stadt, in der sich österreichische, serbische und italienische Interessen und Gruppierungen die Stadt teilen, Kaffee und Rotwein in den zahlreichen größeren und kleineren Cafés der Stadt genossen, alles scheint fast idyllisch verklärt, wenn man weiß, nur wenige Tage später wird ein Schuss in einer der Provinzen der KuK Monarchie zum Weltenbrand führen.
Doch der Schuss von Sarajevo wird auch in Triest ungeahnte Folgen haben. Gaetano Lamprecht entlarvt Machenschaften und Komplotte die bis in die höchsten Kreise der Stadt reichen. Immer wieder gerät er in bedrohliche Situationen aus denen er nur mit knapper Not entkommt, es bleibt ihm kaum Zeit zu verschnaufen, sich zu erholen. Und wir hechten mit ihm von einer Gefahr in die nächste. Aber wir können mit Gaetano auch durch die Straßen Triests flanieren, einen Kaffee genießen, mit dem Fahrrad im Umland Ausflüge machen. (Unter uns: habe ich mir alles vorgenommen für den nächsten Coronafreien Urlaub!).
Das Ende des Buches fand ich herrlich: nach all den Strapazen, den Adrenalinschüben und Aufregungen, die nächtlichen Fahrradtouren, die Gaetano durchgemacht hat, soll er nun endlich mit dem Zug, sein geliebtes Fahrrad im Gepäckwagen, zu seinem ersten Rennen fahren. Doch was geschieht? Die durchwachten Nächte und die Aufregungen der letzten Tage holen ihn ein und Gaetano wacht 12 Stunden später an der Endhaltestelle in Genua auf, er hat seinen Ausstieg und das Radrennen verpasst.
Die Sprache ist den KuK Gepflogenheiten angepasst: Gaetano siezt seine Eltern, Prinz Hohenlohe und Oberst Waldenhoff schwadronieren und dreschen wohlklingende und patriotische Phrasen um dann aber, wenn es kritisch wird, sofort in den normalen Umgangston zu verfallen. Ab und zu fallen kurze italienische Sätze, die das Lokalkolorit unterstreichen.
Und nun, zum Schluss, ein kleiner Gedanke über etwas, das gleich am Anfang des Buches steht: der Titel. „Giro“ bedeutet auf Italienisch eine Rundfahrt, ein Rundgang oder Spaziergang. Wir werden praktisch aufgefordert Gaetano Lamprecht auf seinen vielen Gängen durch die Stadt zu begleiten und so Triest näher kennenlernen. Wie gesagt, nach Corona werde ich dieser unausgesprochenen Einladung gerne Folge leisten.