Das Origami-Mädchen

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juanla Avatar

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Cecelia Ahern gehört zu den seit Jahren bekanntesten Autoren im Genre Liebesromane. Das Cover von ihrem aktuellen Buch „Ein Herz aus Papier und Sternen“ zeigt einen zarten hellen Hintergrund auf dem kleine und filigran gefaltete Herzen zu sehen sind. Es entsteht das Gefühl, dass die Geschichte sehr sensibel und emphatisch geschrieben ist.
Dieser Eindruck bestätigt sich beim Lesen, denn sie hat auf einfühlsame Weise die Geschichte der 32-jährigen Philippa Sheridan erzählt, welche von den Menschen, die sie näher kennen, stets Pip genannt wird. Sie ist Mutter einer 16-jährigen Tochter, welche all die Eigenschaften hat, die Pip gern hätte. Bella genießt ihr Leben und sie ist wagemutig, sie überschreitet die Grenzen und sieht keine Schranken. Wenn es laut ist, schreit Bella noch lauter. Pips stellt mit tiefer Ehrfurcht und gleichzeitig großer Freude fest, dass ihre heranwachsende Tochter wie selbstverständlich immer mehr Raum einnimmt, während sie selbst ihr bereits alles gegeben hat. Sie hat Bella ihr ganzes Leben gewidmet, ihre Teenagerjahre, ihre Zwanziger, und wie es aussieht, wird sie ihr auch ihre gesamte Zukunft schenken. Bereits in den ersten Zeilen ist erkennbar, dass Pip im Auto auf dem Rücksitz zu finden ist, während ihre Mutter Josephine am Steuer sitzt, und Bella sich auf dem Beifahrersitz befindet. Dieses Bild ergibt sich auch, wenn der Leser in die Geschichte eintaucht – im eigentlichen wie auch im übertragenen Sinn.

Cecelia Ahern spielt in ihrem Buch mit Bildern, die so schön und sanft wirken und bringt dabei oft Stimmungen, Verhaltensweisen und tiefgründige Einsichten zum Vorschein. Pip hat ein Hobby, denn das Origami-Falten ist für sie die größte Leidenschaft. Als sie einen Packen von fünfhundert festen, hellweißen Blättern unter dem Arm trägt, sinniert sie über die vor ihr liegende Welt von Möglichkeiten. In Situationen, in welchen sie sich vollkommen machtlos fühlt, wendet sie sich der einzigen Betätigung zu, die sie innerlich beruhigt und ihre Selbstbeherrschung stärkt – die Kunst der Origami-Gedichte. Irgendwann wird ihr klar, dass nicht nur ihr Gedanke an die Betrachtung von Kunst dem Anblick des schlagenden Herzens eines Menschen außerhalb seines Körpers gleicht, sondern dass sie es mit dem Falten der Papierherzen, welche sie ins Innere ihrer Origami-Mädchen steckt, dass ihre gesamte Origami-Sammlung ihr Herz aus Papier ist. Das sind ihre Gefühle und Geheimnisse außerhalb ihres Körpers. In dieser Weise erzählt die Autorin sehr poetisch ihre Geschichte um die Protagonisten, die alle mehr oder weniger mit Pip verbunden sind.

Die Charaktere sind dabei sehr authentisch dargestellt und anhand der liebenswerten Erzählweise der Autorin sehr emphatisch und mit den jeweiligen Paletten an unterschiedlichen Gefühlen ausgestattet, so dass die Leserschaft stets Neuigkeiten zu den unterschiedlichen Protagonisten erfährt. Dabei greift Cecilia Ahern in feinfühliger Art und Weise die Beziehungen der Protagonisten untereinander, Stärken, Schwächen, aber auch Ängste sowie Sorgen und Nöte auf, woraus sich insgesamt den Lesern ein Bild erschließt, welches in sich stimmig ist. Verhaltensweisen, die insbesondere durch Josephine, der Mutter von Pip zum Tragen kommen, sind nicht nur für Pip, sondern auch für deren Tochter Bella oftmals eher gewöhnungsbedürftig, denn sie stehen sinnbildlich für eine besondere Form der Familiendynamik. Im Laufe des Buches wird deutlich, dass Josephine ihr Versagen als Mutter kompensieren möchte und damit einen der größten Fehler begeht, den sie ihrer Tochter und Enkelin gegenüber machen kann. Im Endeffekt hat sie alles, was sie getan hat aus ihrem Schmerz und eigenem Schamgefühl heraus getan.
Der Vater Philipp scheint selbst unter der Fuchtel seiner Ehefrau zu stehen und wenn ihm etwas vorzuwerfen ist, dann die Tatsache, dass er Schuld auf sich geladen hat, einfach durch die Tatsache, dass er es unterlassen hat, für seine Tochter einzustehen und ihr den Rücken zu stärken. Insgesamt wird jedoch deutlich, dass beide Elternteile, sowohl ihre Tochter als auch die Enkelin lieben, und aus Fürsorge die falschen Wege beschritten haben.

Cecelia Ahern zaubert mit Worten und findet stets genau den richtigen Ton, um die Geschichte in der Art zu erzählen, wie sie den Inhalt transportieren möchte. Mal zart und sanft und manchmal auch überaus deutlich und erkenntnisreich. In diesem Liebesroman, der die Erkenntnis von Pip hervorbringt, dass sie diejenige ist, die nicht nur buchstäblich von der Rückbank des Wagens auf den Fahrersitz klettern muss, sondern auch, dass sie es kann und will, steht der Hauptprotagonistin eine große Wandlung bevor. Zunächst sieht sie sich selbst als klein, traut sich nicht, die Dinge anzusprechen, die ihr auf der Seele liegen. Durch eine neue Freundschaft lernt sie dann, dass sie durchaus in der Lage ist für sich einzustehen. Ein guter Freund hat ihr beigebracht, dass sie zu den Sternen schauen und sich Wünsche sowie Träume erfüllen darf. Als es eines Tages zum Streit zwischen Pip und Josephine kommt und Pip endlich bereit dazu ist, für sich einzustehen und für ihre Wünsche zu kämpfen, ist eine Wendung der Geschehnisse nicht mehr aufhaltbar. Es zeigt sich, wenn sie sich selbst ernst und wichtig nimmt, dann schafft sie es Freundschaften zu schließen. Es gibt Menschen, denen sie wichtig ist und die bereit sind, ihr mit Worten und Taten zur Seite zu stehen. Und vielleicht ist es noch nicht zu spät, die große Liebe zu erleben, die sie bereits einmal in jungen Jahren erfahren durfte.

Die gesamte Geschichte ist eingebettet in unterschiedliche Schauplätze und Themenschwerpunkte, wie z.B. Umweltschutz in Form von Verboten gegenüber den Bauern, das Torf in ihrer Erde zu stechen. Es geht auch um die Wissenschaft, um die Forscher und Astronomen, welche den Himmel erforschen und die Sterne, welche den Menschen auch spirituell den Weg weisen können. Aber auch anhand von Bildern und Beschreibungen, wie z. B. die Idee der Geschichte vom Origami-Mädchen, welches durch ihre Geschichten selbst ihre Gefühle verarbeitet und somit weiterhin Emotionen zutage befördert. Ebenso wie beim Torfstechen im Moor, das Radioteleskop und die Leidenschaft für Origami wird angedeutet, wie wir selbst an und mit uns selbst arbeiten und auf bildliche und emotionale Weise übertragen, dass wir stets im Wandel sind und uns selbst stets besser kennenlernen. Es geht um die individuelle Gestaltung der Welt und das innere Erleben der eigenen Entfaltung. Cecelia Ahern ist es gelungen all diese Themen in perfekter Art und Weise so zu kombinieren, dass die Geschichte spannend bleibt und am Ende nicht nur aufgelöst und erklärt wird, sondern auch an das Gute in der Welt glauben lässt.

Fazit: Da ich die Bücher der Autorin bereits seit 21 Jahren lese, bin ich immer wieder über jede Neu-Erscheinung begeistert und genieße neben ihrer ganz eigenen Erzählkunst die Tiefgründigkeit und Vielschichtigkeit ihrer Geschichten. Auch in ihrem neuen Buch ist die Leserschaft eingeladen, einen systemischen Blick auf das Familien- bzw. Sozialsystem zu werfen und gewissen Strukturen und Dynamiken zu erkennen, was für die Geschichte sehr bereichernd ist. Daher lautet meine Empfehlung auch dieses Mal: Unbedingt lesen!