Auftakt zu einer Krimireihe, die Lust auf weitere Bände macht!

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idatimo Avatar

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Ein Abend im November. Im altehrwürdigen Oxforder College Barnabas Hall führt Sir James Osborne seinen Ehrengast durch die Gänge: den in vielerlei Hinsicht umstrittenen, dafür aber ausgesprochen reichen Scheich al-Medina. Gerüchte über die Verstrickung des Scheichs in kriminelle Machenschaften und Gräueltaten halten Sir James, den Provost des Colleges, nicht von seinem Plan ab, al-Medina als Förderer für sein Studienprogramm zu gewinnen. Dieser Abend, gekrönt durch ein festliches Essen im Kreis einschlägiger Wissenschaftler, soll endlich den Erfolg seiner Bemühungen bringen. Zum Entsetzen des Provosts verläuft der Abend allerdings ganz anders als geplant. Nach der Begegnung des Scheichs mit einer jungen Frau aus Syrien, die im College als Küchenhilfe arbeitet, verlässt der Scheich fluchtartig das College. Doch damit nicht genug. Als der Provost mit seiner Frau in sein Arbeitszimmer zurückkehrt, liegt dort eine junge Frau am Boden – offensichtlich Opfer eines Gewaltverbrechens.
Damit endet das turbulente und auf den ersten Blick etwas undurchschaubare erste Kapitel des ersten Bands der Krimireihe von Simon Mason mit dem Titel „Ein Mord im November“. Während der Leser den Ermittlungen folgt, wird immer deutlicher, dass bereits hier, im allerersten Kapitel, die entscheidenden Personen, Motive und Zusammenhänge versammelt sind. Personen werden eingeführt, erste Hintergründe und Beziehungen deuten sich an, mögliche Motive für Gewalttaten werden erkennbar. Nur die Leiche scheint erstmal gar nicht dazu zu passen. Denn die Identität der jungen Frau bleibt ziemlich lange völlig ungeklärt. Eine Herausforderung also für DI Wilkins, den neuen Ermittler der Thames Valley Police in Oxford.
So zumindest könnte man meinen.
Allerdings ist auch hier auf der ersten Blick alles anders als es scheint. Denn hinter dem DI Wilkins, der im Untertitel „Ein Fall für DI Wilkins“ auftaucht, verbergen sich in Wahrheit gleich zwei DI's. Zwei Ermittler, die nicht nur den gleichen Nachnamen, sondern sogar einen fast identischen Vornamen tragen, weshalb es einer Verwechslung zu verdanken ist, dass nicht der eigentlich vorgesehene Ermittler, DI Ray Wilkins, sondern ein neuer Kollege, DI Ryan Wilkins am Morgen nach dem Mord beim Provost im College erscheint. Und dieser DI Wilkins, Ryan, macht sich von Anfang an alles andere als beliebt. Denn anders als sein Kollege Ray, der aus einem wohlhabenden nigerianisch-britischen Elternhaus stammt, Wert auf teure Kleidung legt und sich in der Welt der Colleges wie zuhause fühlt, hat Ryan ein ganz anderes Verhältnis zur Oxforder Elite. Ryan, der in einem Trailerpark am Rande der Stadt aufgewachsen ist, sieht nicht nur in den Augen der Wissenschaftler wie einer krimineller Jugendlicher aus, denn er läuft in Trainingshose, Loopjacke und Turnschuhen herum und hat so gar kein Verständnis dafür, dass er die Angehörigen der vermeintlichen Elite mit Samthandschuhen anfassen soll. Er nimmt kein Blatt vor den Mund und setzt sich über Regeln und offizielle Anweisungen hinweg, ohne mit der Wimper zu zucken. Doch bei seinem unkonventionellen Auftreten hat er immer auch ein feines Gespür für Details und Zusammenhänge und findet meist genau die Hinweise, die die Ermittlungsarbeiten entscheidend voranbringen.
Abgesehen von ihren Namen also sind Ray und Ryan vom Autor in beinahe jeder Hinsicht gegensätzlich konzipiert. Das geht sogar so weit, dass Ryan einen kleinen Sohn hat, während Rays Frau seit längerem erfolglos versucht, schwanger zu werden. Diese Gegensätzlichkeit könnte man übertrieben und sehr konstruiert finden. Aber abgesehen davon, dass sie natürlich viel Konflikt- und Entwicklungspotential mitbringt, gibt Mason seinen Figuren auch so viel Tiefe, dass man die anfangs konstruiert wirkende Konstellation bald vergisst. Vor allem Ryan, der nicht nur wegen seines Auftretens, sondern auch wegen seiner Gewaltprobleme auf den ersten Blick für die Rolle eines Polizisten absolut ungeeignet scheint, ist ein ausgesprochener Sympathieträger, der mir beim Lesen immer stärker ans Herz gewachsen ist. Als Leserin kann ich mich Ryans Charakterisierung durch Nadim, eine Mitarbeiterin der IT-Abteilung, nur anschließen. „Kindisch. Witzig. Sehr krude, sehr helle. Wahrscheinlich ein Albtraum in der Zusammenarbeit“, antwortet sie Ray auf dessen Frage, wie sie Ryan fand. Und fügt nach einer Pause hinzu: „Irgendwie mochte ich ihn“.
Die runden und sehr differenzierten Charaktere machen das Buch unterhaltsam und lesenswert. Daneben mochte ich den feinen Humor, der in fast Beschreibungen immer wieder durchkommt. Und fesselnd ist auch, wie Mason die Fäden, die er im ersten Kapitel ausgelegt hat, weiterführt und wie geschickt er weitere Hinweise einstreut, die den Leser zum Miträtseln einladen. Dass die Auflösung des Falls mich am Ende nicht wirklich überzeugen konnte, fällt für meinen Gesamteindruck des Buchs nicht so stark ins Gewicht. Das Ende lässt offen, ob und wie es mit den gemeinsamen Ermittlungsarbeiten der beiden so unterschiedlichen DI Wilkins' weitergehen kann. Aber da es sich hierbei um den ersten Band einer Krimireihe handelt, können sich die Leser bereits auf die Fortsetzung freuen.