Auf der Flucht

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regenprinz Avatar

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Dieses Buch hat mich ziemlich beeindruckt. Die Art und Weise, wie der Autor es hier schafft, politische Hintergründe in eine originelle und spannende Geschichte zu verpacken, die sich zu keinem Zeitpunkt schwer lesen lässt - Respekt! Außerdem fand ich Sheldon als Hauptfigur nicht unbedingt sympathisch - alt, knurrig, verhaftet in seinen Kriegserinnerungen - dennoch hat er mich bald für sich eingenommen. Auch das finde ich durchaus bemerkenswert. Ebenso wie der kluge Witz, der an etlichen Stellen durchschimmert und dieses Buch so lesenswert macht.
Sheldon hat es in diesem Roman jedenfalls nicht leicht - er muss sich mit 82 in Norwegen neu orientieren, kämpft täglich nicht nur mit den Tücken des Alters und dem Verdacht, er leide an Demenz (was er mitnichten tut!), sondern vor allem mit seinen Erinnerungen und Gespenstern aus der Vergangenheit. Und plötzlich findet er sich an der Seite eines kleinen Jungen wieder, dessen Mutter gerade getötet wurde. Sheldon zögert nicht lange und nimmt auch diesen Kampf auf - fest entschlossen, dieses Mal zu gewinnen. Die Geschichte dieser Flucht wird durchbrochen von Einblicken in die Polizeiarbeit von Ermittlern, die den Fall zu klären versuchen und dabei die politischen Motive dahinter aufdecken. Auch hier gibt es mit der Ermittlerin Sigrid eine Figur, die hinterfragt und deutlich macht, wie wenig durchdacht das Gebaren von Institutionen und Behörden im Umgang mit Kriegsfolgen mitunter ist. Auch einige andere Perspektiven werden beleuchtet - der Mörder und seine Komplizen tauchen abschnittsweise auf oder z.B. auch Sheldons Enkelin und sein Schwiegersohn. Sie alle vervollständigen das Bild und machen die Geschichte rund.
Trotz der vielen Verweise auf die Vergangenheit und zurückliegende Kriege (Korea, Vietnam) ist der Roman hochbrisant und aktuell. Überhaupt merkt man diesem Buch an, dass der Autor sich bei seinem Thema auskennt - die Denkanstöße sind gut platziert und treffend. Mir hat es auch prima gefallen, wie erfrischend und unverkrampft Sheldon an alles herangeht - seien es seine gedanklichen Auseinandersetzungen mit Gott oder dem Judentum, mit seiner Familie und seiner Schuld oder mit allem Unerwarteten, was nun täglich um ihn herum passiert. Er ist einfach keiner, der aufgibt. Und deshalb endet die Geschichte auch mit einer Art Showdown - nicht ganz so, wie erwartet, aber dennoch stimmig.
Einziges kleines Manko in meinen Augen ist, dass dieser Roman beim Lesen vor allem den Kopf anspricht - emotionale Nähe zu den Figuren habe ich kaum empfunden, speziell zu Sheldon sogar erst auf den letzten Seiten. Aber vielleicht ist das auch tatsächlich der komplexen Thematik geschuldet.
Fazit: Ein ungewöhnliches, kluges und meiner Ansicht nach wirklich lesenswertes Buch!