Hoffnungslose Hoffnung

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murksy Avatar

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Anna und Francesca sind dreizehn. Im Grunde noch kleine Mädchen, die aber bereits den Körper einer Frau haben. Das fällt natürlich der italienischen Männerwelt auf. Aufgeheizt durch die Hitze des Sommers und das Pulsieren des Stahlwerkes. Doch nicht nur fremde Männer werden durch den Anblick der Mädchen am Strand nervös, auch beinahe schon besessene Väter, die ihre Mädchen mit dem Fernglas überwachen. Die Mädchen hingegen spielen mit der Situation, ziehen sich zu Discomusik bei geöffnetem Fenster aus und liebkosen sich. Ganz im Gegensatz zu dieser Unbeschwertheit steht die Anspannung durch die wirtschaftliche Situation der Region. Alles hängt von der Stahlfabrik ab. Frustrierte Männer, die ihr Gehalt durch den Diebstahl von Kupfer aufbessern, schwitzende Arbeiter, die den Lärm der Maschinen nur durch laute Musik ertragen und in sexuellen Fantasien schwelgen. Der immer fortwährende Kampf um die Existenz und die Auswegslosigkeit der Lebensumstände machen die Menschen mürbe. Nur die Jugend glaubt an eine bessere Zukunft, träumt von Karrieren als Fernsehstar. Letztendlich bleiben dies alles Wunschträume. Die arbeitenden Männer verschleudern ihr Geld in dubiosen Bars oder beim Spiel, junge Mädchen verlieren ihr Unschuld viel zu früh, ohne sich über ihren Körper oder ihre Gefühle bewußt zu sein. Auch Anna und France, die sich ewige Treue geschworen haben, werden nicht unverschont bleiben. Das Leben wird sie ebenso zeichnen, wie Generationen vor ihnen. Und einen Ausbruch aus den Fängen der Stahlfabrik scheint es nicht zu geben.

Ein bemerkenswertes Buch, das Italien von einer anderen Seite als der azurblauen Tourismuswelt zeigt. Die triste Grausamkeit des Alltags, die Abhängigkeit von äußeren Zwängen wird in teilweise sehr harter, beinahe emotionsloser Sprache geschildert. Dann wieder schwelgt das Buch in Zärtlichkeit, die Menschen trotz der traurigen Situation für andere empfinden. Ein letzter Rest Hoffnung scheint immer noch da zu sein. Teilweise werden die Sätze stakkatohaft auft den Leser abgefeuert. Das erzeugt ein Gefühl der Hilflosigkeit, verdeutlich die Gnadenlosigkeit der Industrieregion. Menschliche Regungen werden auf Gewalt und Triebhaftigkeit reduziert. Existenzielle Fragen beherrschen den Alltag. Doch immer wieder, wie kleine Blüten in einer Wüste, Gefühlsausbrüche, Liebe, die die Menschen zu zerreißen droht. Das Buch ist in mancher Hinsicht meisterlich, von einer rauhen Sprache, die aber notwendig ist, um die Geschichte glaubhaft zu machen. Der Leser fühlt sich als Teil der Gemeinde, die durch und um das Stahlwerk existiert. Ein großer Gesellschaftsroman, der Kultur und Gedanken einer ganzen Region näher bringt. Mitreißend, liebevoll, grausam, kalt und heiß zugleich. Grandios!