Perle in falscher Schale

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sago Avatar

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Der poppige, fast comicartige Stil des bunten Covers lässt ebenso wenig wie der ungeschickt gewählte deutsche Titel vermuten, wie überraschend tiefgründig und zuweilen auch schwermütig dieser Roman ist. Von der Autorin werde ich wohl jedes weitere Buch lesen, so sehr konnte mich sie mich stilistisch und inhaltlich überzeugen.
"..ich...staunte über das komplizierte Geflecht aus orangefarbenen Sommersprossen, das seine Haut von Kopf bis Fuß bedeckte. Aus der Ferne sah er einfach nur irgendwie orange aus, doch aus der Nähe betrachtet waren die Sommersprossen eine Welt voller bizarrer Details, bei denen mir ganz schwindelig wurde. Mir erschienen die Sommersprossen wie eine Art Schutzpanzer, hinter dem er sich verschanzen konte, der ihn von der Welt abschirmte, eine schimmernde Barriere ohne jedes Gewicht, ein Zauber."
Ebenso fein beobachtet wie diese Beschreibung ihres Freundes Franklin ist auch die Freundschaft zwischen Mia, der Ich-Erzählerin und Lorrie Ann, die zusammen in Corona del Mar zur Schule gehen. Alles an der Freundin scheint Mia perfekt wie in einem Märchen. Sich selbst dagegen empfinden sie als gefühlsarm, fast böse. Umso erstaunter ist sie, dass Lorrie Ann im Laufe der Jahre ein Schicksalsschlag nach dem anderen heimsucht: der Unfalltod des Vaters, die Geburt eines behinderten Sohnes, später auch der Tod ihres Ehemannes. Mia dagegen studiert, lernt Franklin kennen und lieben. Drogensüchtig und heruntergekommen steht Lorrie Ann eines Tages vor Mias Tür. Hat Mia ihre Freundin überhaupt je wirklich gekannt? Was spielte sich tatsächlich hinter der perfekten Fassade von Lorrie Anns Herkunftsfamilie ab? Hat Mia all die Jahre nur die Augen vor der Realität verschlossen, um weiter an dem Trugbild, das sie sich von ihrer Freundin gemacht hatte, festhalten zu können? Wie gut kennen wir unsere Nächsten wirklich?
Der Roman wirft viele Fragen auf, auch ethischer Natur, auf die jeder seine eigene Antwort finden muss. Mir persönlich ist Lorrie Ann rätselhaft geblieben. Das schmälerte das Lesevergnügen aber kein bisschen, ganz im Gegenteil. Auf originelle Art und Weise hat die Autorin zudem das Schicksal der sumerischen Göttin Inanna eingeflochten, deren Epos Mia und Franklin übersetzen. Mia vergleicht Lorrie Ann immer wieder mit Inanna, was der Geschichte eine zusätzliche Dimension verleiht.
Der Roman ist für mich ein echter Geheimtipp. Ich hoffe, er findet trotz des unpassenden Covers Leser, die ihn wertschätzen.