Ein Leben in der eigenen Familie wie unter Fremden.

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geschwaetz Avatar

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Von den Büchern „Was fehlt dir“, „Der Freund“ und „Sempre Susan“ hat mir „Eine Feder auf dem Atem Gottes“ von Sigrid Nunez am besten gefallen.

Dieser sehr poetische Titel scheint so gar nicht zum Erzählten zu passen.
Die Autorin beschreibt wie ihre Mutter sich manchmal in Situationen, in denen sie zu verzweifeln schien, sich fragte, wie bin ich nur hierher geraten (in diese Ehe, in dieses Land, in die jeweilige Situation), als sei sie wie eine Feder dorthin geweht worden. (Inspiriert vom Zitat: „Eine Feder auf dem Atem Gottes“ von der Heiligen Hildegard von Bingen.)

Es fühlt sich gar nicht gut an, wenn man in einer disharmonischen Familie aufwächst, die Eltern sich ständig streiten, weil sie unzufrieden mit ihren Leben und dem finanziell ärmlichen Dasein in Amerika sind, einem Land, in das sie in den 1950er Jahren eingewandert sind und das ihnen, dem Vater auch sprachlich, immer fremd bleiben sollte. Die Mutter ist Deutsche, der Vater halb Chinese, halb Panamaer. Und so flüchtet sich die Tochter, die sich in dieser Familie auch nicht heimisch fühlte, in Träume, Geschichten und in das Ballett-Tanzen.
Davon erzählt Sigrid Nunez in ihrem autobiografischen Roman sehr eindrucksvoll, in einer sehr klaren Sprache, die nichts beschönigen und nichts vertuschen will. Sie schreibt Geschichten aus ihren Erinnerungen und Recherchen und manchmal nur fragmentarisch über Erlebnisse, an die sie sich nicht mehr vollständig erinnern kann, die das Gesamtbild sehr gut ergänzen. Beim Lesen überträgt sich die Traurigkeit der Protagonistin auf ihre LeserInnen.
In einer Familie aufzuwachsen, mit sehr unterschiedlichen Eltern, in der Zuneigung und Verständnis füreinander fehlen, prägt das die Kinder auf eine nicht zuträgliche Weise.
Dies ist nicht nur ein persönliches, sondern auch ein gesellschaftlich relevantes Problem.

Ich kenne das Original („A Feather On The Breath Of God“, HarperCollins, 1995) nicht, hatte aber an manchen Stellen im Text das Gefühl, dass die Übersetzung nicht besonders gut gelungen ist.

Nachdem ich mit dem Cover zunächst nichts anfangen konnte, hatte ich während des Lesens dann eine Idee, wie ich die Abbildungen darauf interpretieren könnte, was ich hier nicht erläutern werde, weil ich jedem die Freude lassen möchte, die eigenen Gedanken schweifen zu lassen.

Diese Lektüre ist sehr inspirierend, eigene Erinnerungen aufzuschreiben.