Eine schwere Bürde

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readaholic Avatar

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In ihrem autobiographischen Roman „Eine Feder auf dem Atem Gottes“ gibt uns Sigrid Nunez Einblicke in ihre Kindheit und Jugend in New York. Ihre Eltern lernten sich in Deutschland kennen, ihr Vater ein chinesisch-südamerikanischer Soldat, die Mutter aus Süddeutschland. Eigentlich passen sie überhaupt nicht zusammen, trotzdem heiraten sie und ziehen in die USA.
Im ersten Kapitel beschreibt die Autorin ihren Vater, der ihr zeitlebens fremd blieb. Er lernte nie richtig Englisch, einer von vielen Gründen, warum die Mutter auf ihn herabsah. Er arbeitete hart, aß alleine, verbrachte seine knapp bemessene freie Zeit so gut wie nie mit der Familie, kurzum, er blieb ein Fremder. Eine Tatsache, die Sigrid Nunez als Erwachsene schmerzt, da der Vater früh starb und sie so nie die Gelegenheit hatte, das Verpasste nachzuholen.
Die Ehe der Eltern war unglücklich, was für die Kinder sicher eine schwere Bürde darstellt. Die Mutter trauerte noch lange Deutschland und ihrer Jugendliebe nach, die sie regelrecht verklärt. Sigrid wendet sich bald dem Ballett zu und findet darin große Befriedigung, auch wenn sie nicht talentiert genug ist, eine große Ballerina zu werden. Das Kapitel, das den Titel des Buchs trägt und in dem Nunez ihre Faszination mit dem Ballett schildert, hat mich ziemlich befremdet, da ich nicht nachvollziehen kann, wie man freiwillig blutige Zehen und Schmerzen auf sich nimmt, nur um Spitzentanz zu beherrschen und auf der Bühne zu stehen. Den Balletttänzerinnen wird außerdem nahegelegt, so gut wie nichts zu essen, um ihre mädchenhafte Figur zu behalten: institutionalisierte Magersucht. Wahrscheinlich hat sich bis heute nichts daran geändert. Ein für mich sehr verstörendes Kapitel.
Im letzten Kapitel ihres Buchs beschreibt die Autorin ihre Affaire mit dem russischen Einwanderer Vadim, den sie durch ihre Tätigkeit als Englischlehrerin kennenlernt. Von Anfang an ist klar, dass er verheiratet ist und seine Frau nicht verlassen wird. Es ist eine leidenschaftliche Beziehung zu einem Mann mit äußerst zwielichtiger Vergangenheit, wie sie nach und nach feststellt.
Nunez erzählt mit schonungsloser Offenheit aus ihrer Jugend, selbst wenn sie dabei nicht immer in einem guten Licht dasteht. Obwohl mich manches in diesem Buch befremdet und sogar abgestoßen hat, fand ich den Roman faszinierend und lesenswert.