Tolle Wiederentdeckung!

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takabayashi Avatar

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Endlich mal wieder ein Buch, das ich quasi in einem Rutsch durchgelesen habe! Der autobiographische Roman von Sigrid Nunez hat mich von der ersten Seite an fasziniert. In vier unterschiedlichen Abschnitten berichtet sie über ihren Vater, ihre Mutter, ihre Ballettambitionen als Teenager und schließlich eine Affäre mit einem russischen Einwanderer. Speziell die beiden ersten Abschnitte haben mir besonders gut gefallen. im ersten Abschnitt trägt sie alles zusammen, was sie über ihren chinesisch-panamischen Vater weiß. Das ist nicht viel - ein zurückhaltender, verschlossener, rätselhafter Mann, der kaum Englisch sprach. Genau wie die Autorin selbst möchte man als Leser gern mehr über ihn erfahren! Dann seziert sie die deutsche Mutter - eine sehr widersprüchliche, mit ihrem Schicksal unzufriedene, sehr dominante und im Gegensatz zum Vater ununterbrochen redende Frau, die die Autorin sehr geprägt hat: in fast jeder Situation hat sie noch den Spruch im Ohr, den die Mutter an dieser Stelle gemacht hätte.
Dann geht es um die masochistische Quälerei einer angehenden Ballerina, bis sie merkt, dass sie zu spät mit dem Tanzen angefangen und nicht das Zeug für eine meistehafte Tänzerin in sich hat. Und im letzten Abschnitt ist die Protagonistin bereits berufstätig als Englischlehrerin und beginnt eine Affäre mit einem ihrer Schüler, einem verheirateten russischen Einwanderer, den sie nach und nach als den Macho, Drogensüchtigen, ehemaligen Zuhälter erkennt, der er ist.
Besonders die beiden ersten Abschnitte über ihre Eltern, die keine gemeinsame Sprache hatten und sich beide in den USA nie wirklich heimisch fühlten, fand ich sehr spannend und sehr beeindruckend und bewundere die Fähigkeit der Autorin, das alles so genau zu analysieren und die Anteilnahme des Lesers zu erwecken. Obwohl es um tendenziell traurige Sachverhalte geht, ist der Ton der Erzählung doch leicht und bringt einen hin und wieder zum Schmunzeln. Sigrid Nunez Art zu schreiben hat mich berührt und ich will noch mehr von ihr lesen.

P.S. Aber was hat sich der Verlag nur bei dem Titelbild gedacht? Das ist das häßlichste Cover, das ich seit langem gesehen habe - zum Glück habe ich mich dadurch nicht von der Lektüre abhalten lassen ...