Chemie - eigentlich ein No Go

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juma Avatar

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Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals freiwillig über „Chemie“ lesen würde, Chemie war das schlimmste meiner Schulfächer. Aber der Titel ist so schön doppeldeutig, dass er mich doch reizte. Ich bekam ein Hörbuch für schöne Sommerabende, Luise Helm liest das Buch phantastisch. Es geht zurück in die späten 1950er, die frühen 1960er Jahre, ins puritanische und nicht sehr frauenfreundliche Amerika.
Wir lernen die für die damaligen Verhältnisse recht selbstbewusste Chemikerin Elisabeth Zott kennen, sie verliebt sich in Calvin Evans, den angehenden Nobelpreisträger und widersetzt sich erfolgreich seinen Heiratsanträgen. Ein Kind will sie auch nicht, man einigt sich auf einen ausgemusterten Sprengstoffhund, der den Namen Halbsieben bekommt. Calvin überzeugt Elisabeth, mit ihm zu rudern, aber die fast idyllische Zweisamkeit nimmt ein abruptes Ende, als Calvin - Schuld ist die Hundeleine - urplötzlich zu Tode kommt. Das Paar hatte sich einiges aus ihrem Leben erzählt, aber bei Weitem nicht alle Geheimnisse gelüftet.
Elisabeth verliert ohne Calvin Rückhalt ihre Arbeit, zur gleichen Zeit merkt sie, dass sie schwanger ist. Damit beginnt der Roman, eine rasante Fahrt aufzunehmen. Elisabeth hält sich mit Schwarzarbeit über Wasser, bekommt ein Mädchen, Mad, und findet in einer Nachbarin eine Freundin, Vertraute und Babysitterin. Es stellt sich bald heraus, dass Mad ein ziemlich besonderes Kind ist, superschlau, kann sie zwar mit vier Jahren schon alles lesen, aber mit dem Schuhebinden hapert es noch. Probleme bleiben nicht aus…
So vergeht die erste Hälfte des Buches wie im Fluge. Aber irgendwann schleicht sich bei mir das Gefühl ein, dass dieses Buch so ist, wie ich amerikanische Filme in Erinnerung habe: sie starten spannend, aufregend und fühlen sich total real real an, aber plötzlich driften sie in eine ganz andere Richtung, werden rührselig, übertrieben theatralisch, unglaubwürdig.
Elisabeth landet in einer Fernsehkochshow und jeder normale Mensch hätte sie wahrscheinlich gleich wieder gefeuert, sie aber darf „chemisch“ kochen, was zuerst lustig, dann nur noch nervig ist.
Es geschieht auch in der zweiten Hälfte noch eine ganze Menge, das einen lachen oder schmunzeln lässt. Dazu trägt auch die neunmalkluge Mad bei, die für die Schule einen Stammbaum basteln soll.
Hübsch fand ich die Idee vom denkenden Hund Halbsieben, dessen trockene „Bemerkungen“ lockern das Buch zusätzlich auf..
Wie es weiter- und dann ausgeht, erzähle ich nicht. Nur soviel: Me too kann einem auch mächtig auf den Nerv fallen, das ganze Gleichbehandlungsgerede, die feministischen Ausbrüche wären bei der Schilderung der damaligen Umstände wirklich nicht nötig gewesen. Jeder, der im Heute lebt, hat davon genug um die Ohren. So empfinde ich das jedenfalls. Übertreibungen bringen nichts, nur Gegner.
Trotzdem: Empfehlung!