Mit Halbsieben zum "Essen um sechs"

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elkev Avatar

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"Eine Frage der Chemie" oder im Originaltitel noch treffender "Lessons in chemistry" bringt die geniale Chemikerin Elisabeth Zott hervor, die für ihre Zeit unerschrocken und entschieden in den 50er und 60er Jahren in Amerika gegen die Benachteiligung von Frauen kämpft. Wer nun vermutet, es handele sich um eine von vielen Storys, die nur eingefleischte Emanzen und die noch wenig überlebenden Suffragetten auf den Plan ruft, der irrt. Bonnie Garmus ist hier ein wahres Meisterwerk gelungen- eine Geschichte, die nicht besser hätte erzählt werden können, und die sich in vielen aufschlussreichen Dialogen mit dem Leben selbst beschäftigt.
Als Wissenschaflerin ist Elizabeth immer wieder den Intrigen und Übergriffen ihrer männlichen, oft weniger kompetenten Kollegen ausgesetzt, bis sie eines Tages auf den bekannten Chemiker Calvin Evans trifft, der sie wie kein anderer mit ihren Fähigkeiten erkennt und liebt. Doch die Umstände ändern sich sehr bald, und die junge Frau schlägt ungeahnte Wege als Moderatorin einer Kochshow ein, die sie auf ihre Weise dazu nutzt, die Zuschauer/innen für die chemische Seite des Kochens zu begeistern und sogleich auf Missstände ihrer Zeit hindeutet und Frauen ermutigt, ihre eigenen Wege zu gehen.
Durch ungeklärte Ereignisse aus dem Leben des Calvin Evans hält die Autorin eine gewisse Spannung in der atmosphärisch ohnehin "positv" geladenen Erzählung aufrecht.

Selten habe ich eine Geschichte gelesen, in der die Personen eine solche Tiefe haben, so greifbar nah sind, als säße man mit in Elisabeths Labor zum Essen um sechs am Sonntag neben Madeline und Harriet, während Halbsieben, dieser wunderbare Hund, einer meiner Lieblingsfiguren, seinen Kopf an mein Bein drücken würde, weil er spürt wie lebendig und gegenwärtig er in der Zeit des Lesens in unserem realen Leben war und wie sehr wir ihn lieb gewonnen haben. Wir haben das Buch zu zweit gelesen- ein Mann und eine Frau- und ich darf von männlicher Seite zurückmelden, dass es großen Gefallen gefunden hat.

Die Hauptprotagonistin erforscht die Abiogenese, ist bekennende Atheistin, was einer gewissen Logik zu folgen scheint, da sie in ihrem Ergebnis den Ursprung des Lebens zu erklären versucht. Dennoch finde ich dieses Klischee etwas zu kurz durchdacht, da es doch etliche Wissenschafler aus verschiedenen Fachbereichen gibt, die den Glauben an Gott nicht ausschließen. Ich hätte es spannend gefunden, da Elisabeth in ihrer Rolle alles hinterfragt, wenn die Gottesfrage Teil der ansprechenden Dialoge mit Reverend Wakely gewesen wäre. Doch dieser erklärt als Geistlicher, durch Evans beeinflusst, er würde selbst gar nicht an Gott glauben. Ungeklärt trotz aller wissenschaftlicher Ansätze bleibt die Frage nach dem Ursprung der menschlichen und tierischen Seele. Apropos "Seele"- es gibt unzählige dramatische Geschichten, die nur einen faden Nachgeschmack hinterlassen, aber hier haben wir es mit einem Roman zu tun, der trotz der darin beschriebenen Schicksalsschläge in der Gesamtatmosphäre positiv stimmt und im Ergebnis ermutigt hinzuspüren, was man selbst möchte.

Das Buch soll als Serie verfilmt werden. Da dürfen wir gespannt sein. Vorher bitte jedoch eine klare Aufforderung, dieses fantastische Buch zu lesen.