Zu luftig geschlagen

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sago Avatar

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Um es gleich vorweg zu sagen: Ich habe diesen Roman nicht ungern gelesen, aber er wird mir sicher nicht allzu lange im Gedächtnis bleiben. Geschichten, in denen sich eine verstorbene Person mit Briefen voller Lebensratschläge an ihre Lieben wendet, liegen ja wohl derzeit im Trend. Dies ist das erste Buch von dieser Art, das ich gelesen habe. Die Briefe, die die an Krebs verstorbene Lexi ihrer Freundin seit Kindheitstagen, Christine, hinterlässt, sind leider nicht sonderlich originell. Zum Teil speisen sie sich sogar aus den Zitaten berühmter Persönlichkeiten oder allseits bekannten Trauersprüchen wie zum Beispiel: „Weine nicht, weil ich gestorben bin, sondern lächle, weil ich gelebt habe“. Diese Briefe bzw. die extreme Bedeutung, die ihnen zugemessen wird, fand ich daher eigentlich überflüssig.
Entscheidenderen Einfluss als die Briefe nimmt Lexis eigentliches Erbe auf Christine. Sie erbt so viel Geld, dass sie es sich leisten kann, die ungeliebte Firma bis auf weiteres zu verlassen und zudem ein Haus auf einer Alm im Schwarzwald. Dorthin entflieht die geschiedene Christine, um ihre Trauer um Lexi zu verarbeiten, und lässt ihre zwanzigjährige Tochter Jule mit ihrer eigenen Mutter Helga streitend zu Hause zurück. Und tatsächlich kommt sie im Schwarzwald zur Ruhe und findet Trost in den Bildern, die die bekannte Malerin Lexi ihr außerdem hinterlassen hat, und in der Neugestaltung dieses Hauses. Im kauzigen, aber liebenswerten älteren Nachbarn Norbert hat sie bald einen Freund. Doch der Friede wird gestört, als Christine nicht nur Lexi und Helga, sondern bald auch Nachbarssohn Jan und schließlich sogar dessen Vater Olli nachreisen. Der angebliche Zauber der Alm geht schließlich soweit, dass Jule, die sich zunächst im Schwarzwald in einen traumhaften Forststudenten verliebt hat, diesem den Laufpass gibt und sich dem verschrobenen Jan zuwendet. Dieser mutiert durch die Sonnenbräune und die stählenden Schreinerarbeiten mit Norbert an den Möbeln des alten Hauses auf einmal selbst zum Traumtyp. Das fand ich doch zu sehr an den Haaren herbeigezogen, und der Charakter von Jan war mir auch zu unsympathisch.
Der Umschlag des Buches ist hübsch gestaltet. Vor allem die Umschlaginnenseiten mit den bunten Sommerblumen haben es mir angetan. Leider haben diese Blumen für mich mehr Sommerflair entfaltet als der gesamte Roman. Ich hatte mir irgendwie eine richtige Almatmosphäre im Sommer erhofft, schon aufgrund des Titels. Aber eigentlich hätte die Geschichte auch anderswo und zu einer anderen Jahreszeit spielen können, ohne dass sich groß etwas verändert hätte.
Positiv ist mir aufgefallen, dass Christine erstmal Single bleibt und nicht zwanghaft an Olli verkuppelt wird. Auch hatte ich befürchtet, dass Großmutter Helga bei Norbert landet, aber der verguckt sich in Briefträgerin Hildegard. Das ist also noch mal gutgegangen.
Mein letzter Kritikpunkt: Es ist irgendwie frustrierend, dass es derzeit so viele Bücher gibt, wo die Protagonistinnen ihrer heraufziehenden Midlife-Crisis und der damit einhergehenden Sinnfrage locker entfliehen, indem sie zu Geld kommen, und sei es auf traurige Weise wie hier durch ein Erbe. Beinahe jedes Schicksal wird leichter, wenn man den Alltagsstress einfach komplett auf unbegrenzte Zeit hinter sich lassen und sein Leben so verbringen kann, wie man möchte. Aber wer kann das schon im wirklichen Leben?