Dem einstigen Glück auf der Spur

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emmmbeee Avatar

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Toni und Edgar waren einst ein Paar, das voller glücklicher Erwartungen und Sehnsüchte in die Zukunft geblickt hat. Als Nachkriegskinder wollten sie anders als ihre Eltern leben, frei und mit neuen Zielen, offen für alles, was die weite Welt zu bieten hatte. Für Edgar gab es diese Gelegenheit in Hongkong, und Toni sollte bald folgen. Doch das dauerte und dauerte, sodass sie die Verlobung löste und das Glück somit nur kurz gewährt hat.
Aber obwohl es Antonias freier Entschluss war, schmerzte er sie ein Leben lang. Eigentlich wollte sie die neue Unabhängigkeit geniessen, andrerseits Edgar endlich vergessen, indem sie eine neue Bindung einging. Doch nun ist sie tot, und ihre Tochter möchte von Edgar wissen, was für ein Mensch ihre Mutter war, aber vor allem: wer ihr leiblicher Vater eigentlich ist. Wenigstens einmal im Leben möchte sie ihm begegnen und die kostbare Zeit des gemeinsamen Glückes aufspüren, das ihr wie ein ererbtes, aber verloren gegangenes Schmuckstück vorkommt. Bisher hat es in der Schatulle gefehlt, doch nun scheint es in Reichweite zu liegen.
Der Roman bewegt sich in zwei Handlungssträngen, denn nach den gegenwärtigen Situationen wird immer wieder erklärend in die Vergangenheit zurückgeblickt. Bilkau greift Themen auf, die wohl nie an Aktualität einbüssen: Selbsttäuschungen, Lebenslügen, persönliche Erwartungen und die Suche nach dem, was uns selbst (durch genetische Vererbung) ausmacht. Es geht auch darum, wie weit man seine Kinder vor den Härten des Lebens beschützen kann und soll.
Das Buch hat einen handlichen Umfang von 250 Seiten und ist in einem so leichtfüssigen Stil geschrieben, dass die Schwere und Tragik des Inhalts voll zum Tragen kommt und noch an Tiefe gewinnt. Bilkaus Sprache ist süffig, teils poetisch-stilvoll, farbig und lebendig. Ich mag ihre Figuren, die sich realistisch gezeichnet präsentieren.
Nach ihrem preisgekrönten Debutroman "Die Glücklichen" ist Kristine Bilkau, zumindest nach meiner Meinung, ein zweiter grosser Wurf gelungen. Wer hinter die Fassaden von Familien blicken und nebenbei auch seiner eigenen Selbsterkenntnis auf die Sprünge helfen will, dem möchte ich diesen schönen Roman empfehlen.