Der verstorbenen Mutter noch einmal nah sein...

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Erzählt wird einerseits aus der Perspektive von Toni in Form von Rückblenden in die 60er Jahre in der 3. Person und andererseits aus der Ich-Perspektive ihrer Tochter in der Gegenwart. Die Sprache ist poetisch, bildhaft und insgesamt sehr ansprechend. Gewöhnen musste ich mich zunächst an die häufig verschachtelten Sätze mit sehr vielen Kommata. Das behinderte teilweise den Lesefluss, weil so viele Details in mehreren Nebensätzen untergebracht wurden. Man kann sich gut in die Nachkriegsgeneration hineinversetzen und bekommt ein Gefühl für die gesellschaftlichen Gepflogenheiten der 60er Jahre. In die Gefühle und Gedanken der Tochter in der Gegenwart konnte ich mich dagegen nicht so ganz einfühlen. Aber das mag auch an der besonderen Situation der gerade verstorbenen Mutter liegen, der sie offenbar sehr nahe gestanden hat.
Es geht um die Liebe, aber auch um Enttäuschungen, um große Hoffnungen und den Ausbruch aus gesellschaftlichen Zwängen der Zeit. Bezogen auf die 60er Jahre ist Toni eine eher ungewöhnliche Frau, die sich nicht scheut, große Träume zu haben. Trotz der Skepsis ihrer Umgebung bleibt sie hoffnungsvoll und gibt ihr sicheres Leben auf. Ich konnte mich gut in sie hineindenken, habe ihre Handlungsweise nachvollziehen können und fieberte trotz des Klappentextes und der eingestreuten Hinweise auf andere Ehemänner mit ihr und der Liebe zu ihrem Edgar, wenn ich auch seine Anziehungskraft anhand des Textes nicht ganz verstehen konnte. Mit ihm als männlichen Protagonisten wurde ich nicht wirklich warm. Sein Verhalten leuchtet nicht ein, es ergibt keinen Sinn und schlussendlich liefert der Roman auch keine Antwort darauf. Wie auch Toni diese Antworten verwehrt blieben - letztlich ist es nicht Ziel des Romans, diese zu geben. Stattdessen kann man selbst überlegen, wie weit man an Tonis Stelle gegangen wäre, wie lange man das Ganze mitgemacht hätte und ob ihr weiteres Leben wirklich so sehr davon geprägt wurde oder ob es auch mit einer evtl. nur kurzfristigen Zukunft mit Edgar so verlaufen wäre. Denn trotz der Romantik und des offenbar lebenslangen Bedauerns hat auch Toni ihre Geheimnisse und scheint sich nicht völlig auf Edgar einlassen zu können bzw. sich ihm anvertrauen zu können.

Fazit:
Sprachlich habe ich es gern gelesen, von der Geschichte selbst hatte ich mir dann doch etwas mehr versprochen. Letztlich ist das Ansinnen des Textes aber nicht die vollständige Aufklärung der Liebesgeschichte. Es sind vielmehr die Botschaften, die einen selbst zum Nachdenken anregen und reflektieren lassen, wie man selbst wohl gehandelt hätte, die dieses Buch neben der Sprache besonders machen (und damit habe ich nun auch einen ähnlich verschachtelten Satz produziert, wobei einige von Frau Bilkau dennoch weitaus komplexer sind).