Authentisch

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angie99 Avatar

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Ist dieser Roman autobiographisch angehaucht? Autofiktion? Welche Person verbirgt sich hinter diesem „Ich“, dem Doris Knecht in „Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe“ eine Stimme verleiht?

Sie ist Mitte 50, geschieden, und ihre beiden Kinder Mila und Max flügge. Die Abnabelung steht bevor, die Wohnung wird dann für sie und ihren Hund zu groß sein, sie muss sich eine neue suchen, obwohl sie eigentlich nicht will.
Aber: „Die Frau, über die ich schreibe, gibt es nicht. Sie ist ein Konstrukt, zusammengesetzt aus Erinnerungen, viele davon fehlerhaft, aus Selbstüberhöhung und Selbsthass, aus Erzählungen von anderen, aus Bildern in Fotoalben.“ (S. 88)

In vielen kurzen Kapiteln macht die Ich-Erzählerin eine Art Bestandsaufnahme ihres Lebens: über das, was sie empfindet, wenn sie alte Fotos betrachtet, wenn sie träumt oder wenn sie ihre nächsten Schritte plant, über das, was sie erinnert und was nicht. „Die Wirklichkeit, die Vergangenheit als solche, ist mir kaum noch präsent. Oder vielleicht ist sie es, aber ich kann es nicht garantieren. Wie lange reicht meine Erinnerungsfähigkeit tatsächlich zurück? An wie viel erinnere ich mich nur deshalb, weil es mir immer wieder erzählt wurde?“ (S. 35)

Es sind oft nur kleine Begebenheiten, die nicht chronologisch beschrieben werden und doch zusammen ein Ganzes ergeben. Es sind Streiflichter eines Lebens mit nur allzu bekannten Höhen und Tiefen. Dieses schnelle Springen von einem zum nächsten Gedanken, die Lücken, die dabei bleiben, die Alltagsprobleme, welche die Frau umtreiben: Das fühlt sich sehr authentisch und echt an.

Als größtes Hindernis, von dieser ehrlichen, lebensnahen Schreibe begeistert zu sein, stellt sich jedoch die Hauptprotagonistin selber heraus. Sie ist nur mäßig sympathisch, hadert mit sich, will es krampfhaft anders machen als die Anderen, auch wenn sie dabei unglücklich ist, dreht sich permanent um sich selber und ihr eigenes Wohlbefinden und vor allem stellt sie sich zu viele oberflächliche Fragen, die in ihrer Redundanz auf mich irgendwann nur noch langweilig wirkten.

Obwohl sich so manches gegen Schluss bessert, bleibt für mich so manches zu banal, zu vage und zu blass, manche Lücke hätte ich als Leserin gerne gefüllt gewusst.

So bleibt es für mich eine mittelmäßige Lektüre, die mit scharfen Beobachtungen und Lebensechtheit punktet, diesen Vorteil aber mit einer nervigen Hauptprotagonistin und fehlender Dynamik wieder zunichtemacht.