Selbstironische Neuverortung

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alasca Avatar

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„Ich mag Veränderungen nicht. Ich will, dass alles so bleibt, wie es ist, solange es einigermaßen geht.“

Nun geht es eben nicht mehr. Die große Familienwohnung ist, nach Jahren des finanziellen Spagats, für eine Alleinverdienerin endgültig zu teuer geworden. Zum Glück sind Sohn Max und Tochter Mila so gut wie flügge, so dass einer Auflösung der Familienwohnung und der Neuorientierung rein faktisch nichts im Wege steht.

Die Erzählerin muss sich neu verorten – als Mutter und endlich auch wieder als Individuum. Das ist mittlerweile ungewohnt für sie und mit widerstreitenden Empfindungen verbunden. Als erstes, stellt die Erzählerin fest, muss sie sich endgültig von den gesellschaftlichen Erwartungen befreien, die Mütter offenbar in jeder Lebensphase anhaften. Die Aussicht auf ein leeres Nest zum Beispiel hat untröstliche Trauer auszulösen. Aber die empfindet sie nicht. „Ich würde gern an einen Ort heimkommen, der so ist, wie ich ihn verlassen habe, aufgeräumt und still. Ich glaube, ich würde gerne allein leben.“ Aber dann: „Jetzt setzt Mila zum Sprung an, und es triggert mich nun doch eine Angst, von der ich behaupte, dass es sie nicht gibt.“ Schon der wunderbar paradoxe Buchtitel spiegelt die widersprüchliche Gefühlslage der Erzählerin. Und natürlich das allgegenwärtige Thema der Erinnerung.

Denn während die Erzählerin einen Wust von Dingen sortiert, die verschenkt, verkauft, weggeworfen werden sollen, erinnert sie sich. Jedes Ding holt Bilder, Erlebnisse, Emotionen nach oben. Also doch behalten? Ohne den Trigger des Gegenstandes ist auch die Erinnerung verloren – trennt sie sich von dem Gegenstand, lässt sie einen Teil ihres Lebens los. Schwere Entscheidung, gar nicht trivial: Das war eine der vielen Passagen im Roman, bei denen ich dachte, ja, wie gut ich das kenne – und Knecht bringt es auf den Punkt. Mir gefielen die nüchterne Ehrlichkeit und die völlige Abwesenheit von Sentimentalität in ihren Betrachtungen.

Besonders berührt haben mich die Kapitel, in denen die Erzählerin ihre Lebensentscheidungen mit denen ihrer Mutter und Schwestern vergleicht, die sämtlich konventionellere Wege eingeschlagen haben. Ihr Fazit zur eigenen Lebenssituation: „… das liegt eben an meiner idiotischen Emanzipiertheit, an meiner Eigensinnigkeit. Ich bin nicht die einzige Feministin, die genauso in diese Totalüberforderung geraten ist. Wir können alles, wir wollen alles dürfen, dann machen wir halt auch alles, und am Ende sind wir kaputt und haben schlechte Laune.“ Ich mag Knechts Selbstironie und ihren trockenen Humor, der auch diesem Roman wieder seinen unverwechselbaren Sound verleiht.

Der Roman springt in der Zeit hin und her; die Kapitel haben Titel wie Grüne Hügel, Das Bett, Elternhaus oder Doch nicht. Es geht also sehr assoziativ zu – aber immer wieder rekurriert die Erzählerin auf die eigentliche Geschichte, und in der geht es um die Entscheidung, wer sie künftig sein will. Schritt für Schritt gehen wir dabei an ihrer Seite, bis sie in ihrem neuen Leben angekommen ist. Das geschieht ganz unaufgeregt und bleibt dennoch fesselnd bis zum Schluss.

Haben wir es hier mit Autofiktion zu tun? Mit Sicherheit ist, wie bei jedem Roman, eine Menge gelebtes Leben eingeflossen. Mit hat dieses leise und kluge Buch sehr gefallen.