Liebe in Zeiten des Krieges

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Louisa Young beginnt ihren Roman mit dem Prolog zu einer Juninacht des Jahres 1917. Der erste Weltkrieg dauert bereits drei Jahre und in der lauen Sommernacht passiert in Frankreich fürchterliches. Doch nicht die Geschehnisse auf dem Schlachtfeld sind es, die die Autorin beschreibt. Sondern kurze Momentaufnahmen einiger Figuren des Romanes und was sie in diesem Augenblick erleben, fühlen, beobachten. Ein wirkungsvoller Einstieg, besonders durch die bildhafte Sprache. Denn man weiß noch nicht, welche der Figuren das grausame Gemetzel auf und neben dem Schlachtfeld überleben werden.

 

Die eigentliche Geschichte beginnt zehn Jahre zuvor an einem Weihnachtstag. Von einem Schneeball getroffen, bricht Riley Purefoy im Round Pond im Londoner Kensington Garden im Eis ein. Der Schneeballwerfer und seine Cousine Nadine Waveney nehmen ihn mit nach Hause, in das vornehme Haus ihrer Eltern. Riley wird dort von dem berühmten Maler Sir Alfred entdeckt und portraitiert. Dieser nimmt ihn später als Ziehsohn in seinem Haus auf und so wächst der Sohn eines Londoner Arbeiters in großbürgerlichen Verhältnissen auf, lernt vornehm zu sprechen und befreundet sich mit Nadine.

 

Lousia Young schreibt atmosphärisch. Die erste Begegnung des kleinen Riley mit der vornehmen Welt des Londoner Kulturadels kann man als Leser direkt mitbestaunen. Die Einrichtung der Villa, der "leicht bemühte Hang zum unkonventionellen" der Mutter Jacqueline. Die Autorin lässt das London der frühen Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts lebendig werden. Nadine und Riley bewundern während eines Spazierganges eine Statue von Peter Pan die gerade im Hyde Park aufgestellt wird. Als sie nach Hause kommen sitzt James Barrie bei Nadines Mutter zum Tee. Das liest sich so selbstverständlich, als wäre man dabei gewesen.

 

Als die beiden sich jedoch verlieben, wird die Problematik dieser Zeit deutlich. Rileys einfache Herkunft ist ein Grund die Beziehung zu unterbinden. Standesunterschiede sind unüberbrückbare Hindernisse. Riley meldet sich als Freiwilliger für die Front und gibt Nadines Mutter als letzten Satz mit auf den Weg: „Vielleicht haben Sie Glück und ich falle.“ Selbst als Riley wegen besonderer Verdienste zum Offizier befördert wird, bedeutet dies nicht, dass er Nadine nun sozial ebenbürtig ist. Die gesellschaftlichen Regeln und Normen weichen nur langsam dem Diktat des Krieges und den sich daraus verändernden Verhältnissen. Auch hier gelingt es der Autorin die Wandlungen der Zeit nachvollziehbar zu schildern.

 

Neben der Liebesgeschichte von Riley und Nadine liegt das Hauptaugenmerk des Romans jedoch auf den Kriegsschauplätzen und im Innern der Lazarette. Young nimmt den Leser mit auf die Reise in die geschundenen Seelen nicht nur körperlich zerstörter Männer. Sie beschreibt auch die verzweifelten Versuche der Soldaten, sich durch selbst zugefügte Krankheiten dienstunfähig zu machen. Soldaten injizieren sich beispielsweise Schießpulver um Krebsgeschwüre zu erzeugen. Riley sagt zu einem seiner jungen Soldaten „Wenn Sie sich umbringen wollen, lassen Sie das die Deutschen machen, umsonst.“ Denn die Tipps zum Vortäuschen der Krankheiten mussten bezahlt werden.

 

Einen weiteren Schwerpunkt legt Young auf die Beschreibung von Gesichtsverletzungen und deren Behandlung. Vielen Soldaten wurde buchstäblich das Antlitz weggeschossen. In England gab es eine Klinik, die auf die Wiederherstellung solcher Verletzungen spezialisiert war. Wer sich für die Anfänge plastischer Chirurgie interessiert, wird hier fündig. Für einen Liebesroman war mir die Beschreibung von Hautlappenverpflanzungen und Drainagesystemen jedoch zu detailliert.

 

Insgesamt ein sehr feinfühliger Blick auf die Liebe in Zeiten des Krieges. Handlung und Sprache passen genau zu dieser Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts als das geschriebene Wort noch große Bedeutung hatte und (in Kriegszeiten) oft auch der einzige Weg zum Kommunizieren war. Louisa Young zelebriert diesen Umstand. Wer Zeit und Geduld hat sich darauf einzulassen, wird es sicher nicht bereuen.