Ich will mehr!

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söphken Avatar

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Schon die ersten Seiten von „Eisnebel“ haben mich in ihren Bann gezogen. Die Kälte des Schnees scheint sich direkt auf die Beziehungen zwischen den Figuren zu übertragen. Theodora betritt mit Idlewood nicht einfach ein luxuriöses Anwesen, sondern eine Welt, in der Reichtum gleichbedeutend ist mit Macht, Kontrolle und Ausschluss. Sie ist die Außenseiterin – die, die „nicht dazugehört“. Ihre Herkunft, ihr Schweigen und ihr Unbehagen machen sie für die privilegierte Familie ihres Verlobten verdächtig. In dieser Spannung zwischen Klassenunterschieden und weiblicher Verletzlichkeit liegt für mich die eigentliche Wucht des Romans. Aus feministischer Perspektive zeigt sich hier, wie eng Sexismus und Klassismus miteinander verwoben sind. Theo wird nicht nur als Frau abgewertet, sondern auch als jemand, die aus der „falschen“ sozialen Schicht stammt. Ihr fehlender Status, ihre Unsicherheit und ihr Wunsch, akzeptiert zu werden, werden von der Familie der Daltons systematisch gegen sie eingesetzt. Der subtile, psychologische Terror, den sie erfährt, spiegelt das, was viele Frauen kennen: das Gefühl, dass die Regeln, nach denen andere spielen, nie für sie gemacht wurden. Besonders berührt hat mich, wie Theo sich trotz all dieser Demütigungen behauptet. Sie lässt sich nicht kleinmachen, sondern sucht nach der Wahrheit – über Idlewood, über die Daltons und über sich selbst. Ihre Angst verwandelt sich in Erkenntnis, ihre Ohnmacht in Handlungsfähigkeit. Diese Entwicklung wirkt auf mich wie ein feministischer Akt der Selbstermächtigung, der zugleich eine klare Klassenkritik enthält. Die Daltons stehen hier für ein System, das Besitz, Macht und Ansehen über Menschlichkeit stellt. Theo verkörpert das Gegenteil: Verletzlichkeit, Zweifel, aber auch die Kraft, Grenzen zu überschreiten. Dass sie sich nicht in die Rolle der Dankschuldigen fügt, sondern ihren eigenen Weg geht, macht „Eisnebel“ zu einer kraftvollen Erzählung über Widerstand und Selbstbestimmung. Ich möchte unbedingt weiterlesen!