Elf Leben

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Eigentlich ist Xavier Ireland ein ganz normaler Typ. Er arbeitet recht erfolgreich als Radiomoderator einer Nachtsendung, ist ein bißchen einsam - dies aber anscheinend selbstgewählt - und führt ein recht unspektakuläres Leben. Jede Nacht gibt er schlaflosen Seelen Tips und Ratschläge zu großen und kleinen Nöten oder leiht Einsamen einfach nur sein Ohr. Auch seinem tolpatschigen und allseits unbeliebten Co-Moderator und Freund Murray dient er als Kummerkasten und Stütze. Tagsüber muss er aber oft erkennen, dass sein eigenes Leben gar nicht so verläuft, wie man sich dass von einem souveränen Lebensratgeber vorstellen könnte. Xavier schleppt eine unverarbeitete Vergangenheit mit sich herum. Damals hieß er noch Chris und lebte in Australien. Ein von ihm verursachter Unfall zerbricht seine Freundschaften und seine Liebe zu Mathilda, führt zu einer Lebenskrise, die ihn nach London fliehen lässt. Dort beginnt sein Leben neu und die Radiokarriere fällt ihm sozusagen in den Schoß. Aber er beherzigt einen von ihm als Radio-Lebensberater oft erteilten Tip selber nicht: Nie redet er über seine Vergangenheit, er flieht vor seinen Problemen und schleppt sie deshalb nur um so mehr mit sich. Vor engeren Beziehungen flieht er, Probleme in seinem Umfeld erkennt er, aber er mag sich nicht oder nur halbherzig einmischen. So auch nicht bei einem von anderen Jugendlichen gequälten Jungen auf der Straße. Xavier hält sich meistens raus. Dass er dadurch aber auch die Möglichkeit zu einem richtigen, intensiven Leben verpasst, erfährt er erst durch seine neue Putzfrau Pippa, die er bei einem -natürlich halbherzig besuchten- Speeddating kennenlernt. Sie lebt ganz anders, beherzt, mischt sich ein, kümmert sich. Xavier verliebt sich in sie, erkennt sein Problem, steuert um. Das ist die zentrale Geschichte in Elf Leben. Darum herum gruppieren sich viele andere Leben, in die wir einen Einblick bekommen, manchmal nur ganz kurz, dann wiederkehrend. Es sind insgesamt weit mehr als elf und ich habe mich lange gefragt, welche davon denn im Titel gemeint sind. Ziemlich gegen Ende des Romans erfahren wir aber, welche elf Personen durch ihre jeweiligen Aktionen zu der Schlussszene des Romans beigetragen haben. Am Anfang stand Xaviers zögerliches Verhalten bei der Prügelei, am Ende wird er von einem Auto überfahren - Ausgang/Verletzung oder Tod Xaviers offen. Wie bei der Parabel vom Flügelschlag eines Schmetterlings, der an einer anderen Stelle der Welt einen Sturm entstehen lassen kann, greifen die Handlungen von Personen, die sich vielleicht nie begegnet sind ineinander über und verändern den Lauf der Dinge. Einmal sagt Xavier: "Ich denke mir halt, was passieren soll, passiert!" Es ist natürlich Pippa, die widerspricht und entgegnet: "Das ist aber eine nette Art zu sagen, das geht mir am Arsch vorbei!"Das Buch will ein Gefühl dafür geben, dass unsere Handlungen immer Auswirkungen auf andere Menschen haben, so privat sie auch sind und dass wir uns dessen auch immer ein Stück weit bewußt sein müssen. "Niemand ist eine Insel"- auch wenn er sich so wie Xavier in sich zurückzieht. Ich glaube, diese Einsicht ist dem Buch auch gelungen. Es ist gut lesbar, manchmal ein bißchen zu plakativ. Die vielen Protagonisten kommen dem Leser unterschiedlich nah, manche sind zu konstruiert, wie die Psychotherapeutin und die Restaurantkritikerin. Andere, wie der lebensmüde Lehrer oder der indische Lebensmittelhändler, bleiben trotz Kurzauftritts im Gedächtnis. Insgesamt ein lesenswertes, nachdenkliches Buch.