Was passiert, wenn die Eltern alt werden?

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Sanne hat entschieden. Wie sie immer alles entscheidet. Sie ist als Älteste auch die Pragmatische unter den drei Schwestern, die im Mittelpunkt dieses Romans stehen. Sanne lebt nur ein paar Straßen von den Eltern entfernt, denen der Alltag im eigenen Haus mit großem Garten über den Kopf gewachsen ist. Nun wird umgezogen in eine kleine Wohnung mit Aufzug. Doch schon das Ausräumen des Hauses gestaltet sich emotional, weckt zahlreiche Erinnerungen.

Gitti wohnt zwar im Umkreis, hat die Verantwortung für die Eltern aber komplett Sanne überlassen. Petra, die Jüngste, hat sich nicht nur räumlich von Eltern und Schwestern entfernt. Sie ist die Studierte, die Nomadin, die in der großen Stadt lebt. Ute Mank wechselt die Perspektiven. Wir lernen jede Schwester in ihrem Umfeld kennen. Alle haben sich für unterschiedliche Lebensentwürfe entschieden. Gerne folgt man ihren Gedanken und Reflexionen, die jeweils Teile ihrer Vita oder Erinnerungen aus dem Zusammenleben im Elternhaus betreffen.

Die Eltern stammen aus einfachen Verhältnissen. Mit viel Eigenleistung und Herzblut haben sie ihr „schmales Haus“ in einer Arbeitersiedlung gebaut. Urlaub war nicht drin, die Mutter war nie berufstätig, trug aber mit verschiedenen Putzstellen zum Lebensunterhalt bei. Eine typische Nachkriegsbiografie eben. Als Leserin berührt das eigentümlich, spiegeln sich doch die Werte der eigenen Eltern mindestens partiell in diesen Schilderungen wider.

Die Autorin spannt den Bogen aber weiter, indem sie uns hinter die Fassaden der drei Schwestern schauen lässt. Sanne wird von allen bewundert, weil sie mit Haus, Mann und zwei mittlerweile flügge gewordenen Kindern genau das erreicht hat, was sie sich immer wünschte. Aber reicht das für ein glückliches Leben? Die Anzeichen mehren sich, das sich doch ein Haufen Alltagsgewohnheit in ihre Ehe eingeschlichen hat. Gitti ist ohne Kinder geblieben. Petra hat noch nicht mal einen festen Partner - denken zumindest alle… Jeder Lebensentwurf hat auch seine Schattenseiten, was deutlich herausgearbeitet wird.

Innerhalb der Familie hat jede Schwester ihre Rolle zugeordnet bekommen. Sanne ist die, „die plant, organisiert und entscheidet.“ Auch wenn sie sich mit der Sorge um die Eltern allein gelassen und überfordert fühlt, nimmt sie die Zuschreibung an. Doch es zeigt sich, dass sie mit ihrer neuesten Entscheidung über das Ziel hinausgeschossen hat, was ihre beiden Schwestern aktiv werden lässt.

Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Die Perspektivwechsel gestalten sich interessant und kurzweilig. Jeder Leser dieser Generation, die sich um betagte Eltern kümmern muss, wird sich in gewisser Weise in den verschiedenen Lebensgeschichten wiederfinden. Jedes Elternhaus ist emotional aufgeladen. Es zu räumen, die Eltern zu entwurzeln, ist keine leichte Angelegenheit. Der Roman bringt aber auch ins Nachdenken darüber, was ein glückliches Leben ausmacht, wie man seine in die Jahre gekommene Partnerschaft lebendig hält und wie schwer es ist, in mittleren Jahren noch einmal neu anzufangen oder Bindungen einzugehen. Ute Mank versteht es, die verschiedenen Handlungsstränge völlig kitschfrei ineinanderlaufen zu lassen. Sie bleibt dabei weitgehend realistisch, auch wenn manche Wendung der Dramatik geschuldet sein dürfte. Die Figuren dürfen sich entwickeln. Allerdings bleiben die Eltern ziemlich blass und willenlos, was in ähnlicher Situation wohl die wenigsten wären, wenn es um die eigenen vier Wände geht. Distanz und Wortlosigkeit ziehen sich durch die gesamte Familie. Man spricht schon mal über- aber nicht miteinander. Vielleicht haben die Schwestern das von ihren Eltern übernommen, dadurch würde sich manches erklären.

Das Ende gestaltet Ute Mank gekonnt. Der Denkapparat bleibt auch nach dem Zuklappen des Buches angeschaltet. Leseempfehlung!