Interessantes Sujet, distanzierte, manchmal zu langatmige Erzählweise

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viv29 Avatar

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Mir gefiel der Gedanke eines Romans, der im alten Karthago spielt – eine angenehme Abwechslung von den üblichen Romansujets. Irene Vallejo erzählt hier den Mythos von Elyssa und Aeneas, bekannt durch Vergil, neu. Mir war dieser Mythos vor der Lektüre des Buches nicht bekannt, das war aber beim Lesen keineswegs hinderlich, was sicher auch daran lag, daß ich mit den historischen Hintergründen hinreichend vertraut war. Notwendige Hintergrundfakten werden ausreichend eingebunden. Der Einband erfreut mit einem schlichten, klassischen Motiv und ansprechender Goldprägung.
In Vallejos Sachbuch „Papryrus“ fand ich ihren blumigen, abschweifenden Stil unpassend und brach das Buch deshalb ab. Für einen Roman wie „Elyssa“ ist der Schreibstil dagegen wesentlich besser geeignet. Vallejo erzählt poetisch, mit vielen Beschreibungen und zahlreichen geschilderten Gedankengängen. Das paßt zum antiken, mythologischen Thema, wirkt allerdings auf Dauer auch etwas steif und leblos.
Sie erzählt die Geschichte multiperspektivisch – hauptsächlich durch Elyssa und Aeneas, aber auch die junge Anna trägt ihre Sicht bei. Annas Kapitel fand ich fast durchweg langatmig und nur selten interessant. Bedauerlicherweise klingen außerdem alle Erzählstimmen gleich – wenn man multiperspektivisch erzählt, dann sollten die Leser das nicht nur am Namen über dem Kapitel merken.
Ein origineller Kniff ist dagegen, auch den Liebesgott Eros seine Sicht berichten zu lassen. Diese Vermischung von menschlicher und göttlicher Welt bringt eine frische und ansprechende Perspektive in die Geschichte. Eros‘ Gedanken und Aktionen sind unterhaltsam und bringen die Lebendigkeit hinein, welche diese oft zu gemessen daherkommende Geschichte dringend braucht.
Ein verzichtbares Element wären dagegen die Einschübe über Vergil gewesen. Eigentlich ist es eine hervorragende Idee, Autor und Werk im Zusammenspiel zu erleben. Das hätte viel Potential gehabt, doch leider nutzt die Autorin es erst ganz am Ende in einer wundervollen kurzen Szene, in der Vergil – gewissermaßen als Schemen aus der Zukunft – in Karthago erscheint. Zuvor erleben wir Vergil in drei Einschüben, welche am Rahmenhandlungssyndrom leiden: in ihnen passiert so gut wie nichts. Vallejo läßt Vergil fast ausschließlich durch die Gegend schlendern und stopft alle erdenklichen historischen Hintergrundinformationen in diese Abschnitte. Auch wenn die Informationen über den Alltag in Vergils Rom an sich interessant sind, ist diese geballte, um ihrer selbst willen geschehende Auflistung in handlungsarmen Abschnitten plump und enervierend. Vergils Kapitel sind schlichtweg Infodumping, tragen somit nichts zur Geschichte bei, sondern schwächen das Buch erheblich. Wie schade, daß diese Idee derart verschenkt wurde.
In der eigentlichen, in Karthago spielenden Geschichte sind die historischen Details dagegen gut und passend eingebunden. Die Geschichte selbst ist interessant, krankt aber an der langatmigen, getragenen Erzählweise. Weder das Geschehen noch die Charaktere konnten mich wirklich berühren, man ist als Leser nicht drin, es bleibt eine Distanz. Die Gefühle werden berichtet, man spürt sie aber nicht. Zwischendurch mußte ich mich zwingen, weiterzulesen. Normalerweise hätte ich dem Buch drei Sterne gegeben, dann aber kommt das Ende, das zeigt, wie fulminant diese Geschichte hätte sein können. Hier schwindet urplötzlich die Distanz, die Charaktere werden von mythologischen Figuren zu echten, fühlenden Menschen. Ich war gebannt, ich war berührt, ich klebte an den Seiten. Man spürt die Gefühle, man leidet unter den Missverständnissen, man fürchtet das, was geschehen wird. Hier schreibt Vallejo farbig und echt. Wäre das ganze Buch so gewesen, hätte es Perfektion erreicht. Das Sujet ist gut gewählt, Vallejo kann absolut mit Sprache umgehen, sie kennt ihr Thema bestens. So bleibt die Frage: warum springt der Funke erst am Ende über? Aber immerhin tut er es überhaupt und mein Interesse an der mythologischen Erzählung und ihren Hintergründen ist definitiv geweckt.